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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Mühe davor, auf die Knie zu sinken und vor Maruzzas Körper ein feierliches Dankesgebet zu sprechen, wie man es bei einem Wunder tut, bei einem Gnadenbeweis des Himmels. Er betrachtete sie wie eine Landschaft, die einen verzaubert, die sanften Linien ihrer Hüften, die beiden nur durch eine schmale Schlucht voneinander getrennten Hügel, den Rücken, der wie eine Ebene war, auf der man sommers wie winters aussäen konnte, die Rückseite ihrer Beine, die an den geraden Wuchs junger Bäume erinnerten.
    In der rechten Hand hielt Maruzza die große Muschel und sang in sie hinein.
    Sie sang leise und ohne Worte.
    «O Wasser, o Meer», sang sie, «ich will von meinem Glück dir erzählen, von meiner Nacht in den Armen eines Mannes, der ein echter Mann ist. Ich will dir sagen, dass ich nun endlich weiß, was die Liebe ist, ein Geben und Nehmen, Zurückhalten und Verschwenden, Süße und Bitternis … Und sich der Liebe hingeben ist wie deine Welle, wenn sie sachte, sachte brandet, vor und zurück, vor und zurück, ein Wogen, das leider nicht ewig ist wie das deine, es währt nur kurz, doch dieser Moment reicht aus, uns zu beglücken …»
    Dann musste sich Gnazio wohl geregt haben, denn Maruzza brach ab und drehte sich um. Sie lächelte ihm zu, kam herein, stellte die Muschel ab, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Bett.
    Eines Abends im Oktober, als sie sich gerade hingelegt hatten und Gnazio gleich nach Maruzza suchte, weil er nie genug von ihr bekommen konnte, sagte sie zu ihm:
    «Heute Nacht nicht.»
    «Warum?»
    «Es würde mir Schmerzen bereiten.»
    «Wieso sollte es dir Schmerzen bereiten?»
    «Weil ich fühle, wie ich mich verschließe.»
    «Was soll das heißen?»
    «Hast du noch nie eine Muschel im Meer gesehen? Sie öffnet sich und sie verschließt sich, dicht und fest. Jetzt beginnt das mit mir, was Donna Pina dir gesagt hat. Daher bereite dich vor, das zu tun, was du tun musst.»
    Um sieben Uhr in der Frühe nahm Gnazio das Maultier und eilte zum Sohn von Aulissi.
    «Richte eilig den Karren her und komm mit mir!»
    Sie nahmen die vier Fässer und hievten sie auf den Karren. Maruzza sah ihnen vom Balkon aus zu, sie hielt die Muschel in der Hand, aber sie sang nicht.
    «Solange sie leer sind», sagte Aulissi, «schaffe ich das, sie vom Karren auf den Strand zu setzen und sie mit Meerwasser zu füllen. Doch wenn sie voll sind, vermag ich sie nicht mehr allein wieder auf den Karren zu hieven. Sie werden zu schwer. Ich brauche mindestens einen, der mir zur Hand geht.»
    «Aber ich kann nicht mit dir kommen.»
    «Dann lasse ich mir von einem Fischer helfen, am Strand unten findet man immer einen. Was aber, wenn er bezahlt werden will?»
    Gnazio gab ihm ein wenig Geld, und Aulissis Sohn machte sich auf den Weg.
    «Wer ist dieser Junge mit dem Karren?», fragte Maruzza ihn.
    «Das ist Aulissi, der Sohn von Aulissi Dimare. Du erinnerst dich, er nahm sich das Leben, indem er sich ins Meer …»
    «Ich erinnere mich», unterbrach ihn Maruzza. «Er sieht ganz aus wie sein Vater.»
    Sie redeten noch eine Weile miteinander, dann ging Gnazio seiner Arbeit nach. Und während er die Kartoffeln aushackte, fiel ihm wieder ein, was Maruzza gesagt hatte, nämlich dass Aulissi, Sohn des Aulissi, ganz so aussehe wie sein Vater. Doch wann hatte Maruzza Vater Aulissi kennengelernt? An jenem Tag, an dem Vater Aulissi gekommen war, um seine Bäume zu veredeln, und sich dann das Leben genommen hatte, konnte er unmöglich seiner Frau begegnet sein. Doch war er von der Urgroßmutter gesehen worden, die ihn für jemand anderen gehalten hatte. Vielleicht hatte Minica ja mit Maruzza über ihn geredet und ihr erzählt, wie dieser Mann beschaffen war. Und Gnazio dachte nicht mehr weiter daran.
    Aulissi kehrte nach ungefähr drei Stunden zurück. Gnazio ging ihm auf der Straße entgegen, das eine Ende des Pumpenschlauchs in der Hand. Das andere Ende hatte er bereits in die erste Zisterne gesteckt.
    «Halte hier an! Warum hast du so lange gebraucht?»
    «Don Gnazio, ich habe so lange gebraucht, weil ich niemanden gefunden habe, der mir geholfen hätte. Dann kamen zwei Fischer, aber die wollten alles Geld, das ich bei mir hatte.»
    Gnazio verstand augenblicklich, dass das so nicht stimmte. Die Fischer hatten ihm mit Sicherheit geholfen, ohne sich bezahlen zu lassen, und Aulissi hatte das Geld eingesackt. Er war schlau und durchtrieben wie sein Vater, dieser Sohn von Aulissi.
    Wegen der starken Neigung ergoss sich das Meerwasser in die

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