Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
ein Familienmitglied mitzumachen, den Spießrutenlauf vor Gericht, die hämischen Kommentare der Journalisten.
Louise spürte, wie sich der Horizont eines neuen Lebens vor ihr öffnete.
Vielleicht war es an der Zeit, auch mit ihrer Beziehung zu Frederick klar Schiff zu machen. Zuneigung, Vertrauen und erotische
Leidenschaft waren nun einmal keine ausreichendeBasis für eine lebenslange Beziehung. Es war besser, jetzt ein Ende zu machen, da Frederick genug eigenes Vermögen hatte,
um nicht auf einen Posten angewiesen zu sein, und keiner von ihnen dem anderen den Vorwurf machen konnte, hinter dem Geld
her zu sein. Sie wusste, dass es ihr wehtun würde, aber sie konnte nicht länger mit einem Kompromiss leben. In den vergangenen
Monaten hatte sie die Unterstützung eines Freundes gebraucht; jetzt konnte sie ihren Weg allein fortsetzen.
Wie sollte sie Frederick aber beibringen, dass sie von nun an getrennte Wege gehen würden? Sollte sie ihm einen Brief schreiben?
Das wirkte kalt und unpersönlich. So unangenehm es auch sein würde: Sie musste mit ihm persönlich sprechen. Vermutlich rechnete
er bereits mit einem solchen Gespräch, denn ihm war keineswegs entgangen, dass Louise seit Raouls Tod gelernt hatte, sich
in der Gesellschaft zu behaupten; sie hatte ihren Platz gefunden. Nur würde er zweifellos annehmen, dass Amys männerfeindlicher
Einfluss hinter ihrer Entscheidung, sich zu trennen, steckte, und nicht glauben, dass Louise von der ersten Nacht an das Gefühl
gehabt hatte, dass Liebe mehr sein müsse als Leidenschaft.
Sie schob das Gespräch mit Frederick von einem Tag auf den nächsten. Sooft ihr die Gelegenheit gekommen schien, ernsthaft
zu reden, kam immer irgendetwas dazwischen, und ihm zwischen Tür und Angel den Abschied geben wollte sie nicht.
Sie wartete auf den rechten Zeitpunkt bis zu dem Tag, an dem es nicht mehr notwendig war, über ihrer beider Zukunft zu reden.
Fünfter Teil
Bittere Liebe
E ine M aske fällt
1
Kriminalpolizeiinspektor Ludwig Gützlow betrat das Stadthaus auf dem Neuen Wall mit glitzernden Augen und einem Ausdruck,
der verriet, dass er Erstaunliches zu vermelden hatte. Als Heidegast ihn neugierig anblickte, zog er einen Briefumschlag aus
der Manteltasche und wedelte damit in der Luft.
»Sie werden Augen machen, Herr Polizeirat. Sie wissen doch, dass ich einen Detektiv angewiesen habe, die Hausbewohner zu überprüfen,
bevor wir Fräulein Hahnes Geständnis hatten, und tatsächlich hat er etwas Bemerkenswertes herausgefunden!« Er reichte seinem
Vorgesetzten das Schreiben.
Wilhelm Heidegast las. Seine buschigen Augenbrauen wanderten höher und höher. »Na, sieh mal einer an! Was für ein abgefeimtes
Aas. Dann lassen wir den Herrn gleich zu uns bitten. Auf die Unterredung bin ich wirklich gespannt …«
Heidegast schritt händereibend auf und ab, während er darauf wartete, dass das junge Paar seiner Aufforderung, sofort ins
Präsidium zu kommen, folgte. Er hatte Louise Paquin ebenfalls vorladen lassen, weil er herausfinden wollte, ob die Witwe eine
Mitwisserin war. Möglich, dass der Kerl auch sie getäuscht hatte. Hinterhältiger Lump! Raoul Paquin hätte ihngarantiert aus dem Haus geworfen, wenn er ihn durchschaut hätte.
Eigentlich schade, dachte er. Der Junge hatte keinen schlechten Eindruck auf ihn gemacht. Ein ehrgeiziger Streber, gewiss,
der mit seinen zweiundzwanzig Jahren die Erfahrung und Würde eines doppelt so alten Mannes vorzutäuschen versuchte, aber das
hatte eher rührend als abstoßend gewirkt. Nun, er fand wieder einmal bestätigt, dass man in Menschen nicht hineinschauen konnte.
Das Räderwerk im Innern tickte meist ganz anders, als das Gehäuse von außen versprach.
Die beiden jungen Leute erschienen. Sie fragten sich, was es noch so Wichtiges zu dem Fall Paquin geben mochte, dass der Polizeirat
sie in solcher Eile in das Stadthaus auf dem Neuen Wall bitten ließ. Frederick wirkte nervös und trat unruhig auf der Stelle;
Louise blieb völlig unbefangen.
»Wollten Sie uns noch etwas wegen Paula Hahne fragen, Herr Polizeirat?«, erkundigte sie sich.
Heidegast winkte ab. »Nein, der Fall ist abgeschlossen. Es geht um Sie, junger Mann.« Er ließ den Blick von oben bis unten
über die lange, elegante Gestalt des ehemaligen Privatsekretärs gleiten. »Sie sehen sehr gesund aus«, sagte er, was ihm einen
überraschten Blick eintrug. Mit eisiger Stimme setzte er fort: »Bemerkenswert gesund für
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