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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Sandmann
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als eine Frauenleiche entpuppte. Die Kälte der Flut hatte sie unbeschadet bewahrt, sodass sie
     rasch identifiziert wurde.
    Man legte sie in einen Behelfssarg und brachte sie ins Leichenschauhaus, wo sie ausgekleidet und untersucht wurde. Keine Spuren
     von Gewaltanwendung wurden entdeckt, und der bereits bestehende Verdacht, dass sie Selbstmord begangen hatte, wurde bestätigt,
     als mit der zweiten Post ein Päckchen einlangte, das »an die Polizei betreffend den Fall Paquin« adressiert war.
    Der Polizeirat entnahm dem Paket ein fingerlanges Kristallfläschchen und einen Brief. Er las ihn durch und reichte ihn Gützlow,
     der die kalligrafisch anmutende, zierliche Schrift aufmerksam studierte:
     
    Hamburg, den 27.   April 1898
     
    Ich habe nicht mehr lange zu leben, und diese kurze Frist möchte ich nicht, geschmäht und bespuckt von aller Welt, im Gefängnis
     verbringen, sondern dieses Leben mit einer gewissen Würde verlassen. Beiliegend finden Sie mein Handwerkszeug, das mir viele
     glückliche Stunden beschert hat. Für wie viele Menschen es die Pforten der Unterwelt aufstieß, kann ich Ihnen nicht mehr genau
     sagen. Es mögen im Lauf der Jahre einige Dutzend gewesen sein. Wie verwerflich! Wie böse! Aber niemand kann sich vorstellen,
     von welcher grauen Langeweile und Trostlosigkeit das Leben einer Frau erfüllt ist, die nichts gelernt hat – niemals etwas
     lernen durfte   –, die keine wirkliche Beschäftigung im Leben hat und weder Pläne machen noch Ziele erreichen kann. Ein Verbrecher in seiner
     Zelle kann seine Gedanken immerhin auf den Tag richten, an dem er entlassen wird. Aber für mich gab es niemals einen Tag,
     an dem ich in die Freiheit hätte treten können. Ja, wäre ich ein einfaches Mädchen aus dem Volk, so hätte ich mir eine Arbeit
     suchen können und müssen. Aber als Tochter aus vornehmem Haus war mir dieser Ausweg verwehrt. Ich hatte nichts Eigenes, nichts.
     Meine Kleider, meine Bücher, selbst meine Haarbürste und meine Pantoffeln – alles hatte mir mein reicher Vetter geschenkt.
     Jeder Bissen, den ich in seinem Hause aß, war ein Bissen Gnadenbrot. Meine Hoffnung, seine ehrenwerte Frau zu werden und endlich
     am Leben teilzuhaben, wurde zerstört, als er das Mädchen aus dem Waisenheim ins Haus brachte. Ich wurde älter und älter. Wer
     hätte mich noch heiraten wollen? Emil ganz gewiss nicht, der suchte nur sein Vergnügen. Wem hatte ich noch irgendetwas zu
     bieten? Ich sah endlose Jahre vor mir, die ich im Zwielicht lebend verbringen würde, von tödlicher Langeweile zermürbt und
     von einem lodernden inneren Zorn erfüllt.
    So habe ich mir immer und immer wieder diese geheime Freude gegönnt, als Todesengel durch die Welt zu gehen. An das erste
     Mal kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es ging, glaube ich, um einen mir flüchtig bekannten Mann, der sich mir gegenüber
     beleidigend verhielt. Erst hatte ich es nur diesem Mann heimzahlen wollen, aber dann stellte ich fest, dass mein Leben noch
     nie so unterhaltsam und aufregend gewesen war, und das brachte mich auf den Gedanken, es noch einmal zu versuchen. Was hatte
     ich denn schon zu verlieren, wenn man mich fasste? Und wieder war alles da: das Vergnügen, die Spannung, das Herzklopfen und
     die heimlichen Triumphe. Also wurde mein Giftfläschchen zu dem Zauberkristall, der sein glänzendes Licht in mein graues Leben
     warf.
    Es geschah Raoul recht, dass er sterben musste. Hätte er damals sein Versprechen gehalten und mich geheiratet, wäre er noch
     am Leben. Und glauben Sie mir: Es machte mir großes Vergnügen. Es wurde ja richtig aufregend, als Sie dann ankamen, ihn obduzierten
     und andauernd in unseren Angelegenheiten herumstöberten. Nun, Sie wissen, der Nächste war der Baron. Allerdings war dieser
     dem Tode bereits so nahe, dass er meine Bedürfnisse nicht wirklich erfüllte.
    Es müsste wirklich interessant sein, mit einem Gift zu arbeiten, das bis zum Ende keinerlei Spuren hinterlässt. Aber das scheint
     mir ein Traum zu sein. Was wirkt, zeigt seine Wirkung auch. Man kann einen Körper nicht zerstören, ohne dass man ihm diese
     Zerstörung ansieht. Aber man kann sie so gestalten, dass sie mit ganz natürlichen und unbedeutenden Beschwerden verwechselt
     wird. Sie würden sich wundern, wie viele Erkrankungen in der Nachbarschaft auf meine »Hoffmannstropfen« zurückzuführen waren.
     Erkrankungen, keine Todesfälle, denn nicht immer war es das Risiko wert, zu töten.
    Nun wissen Sie es also,

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