Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
verschwunden; er hatte ihr jedoch ein Andenken hinterlassen.
Sie konnte sich nicht länger einreden, dass das Ziehen im Bauch und die morgendliche Übelkeit nur Folgen nervöser Anspannung
waren. Außerdem war ihre Monatsblutung zum zweiten Mal ausgeblieben. Keine Frage: Sie war schwanger.
Das erschütterte und erfreute sie gleichermaßen. Jetzt noch ein Kind zu bekommen, war wohl der Gipfel des Skandals, über den
ohnehin schon ganz Hamburg tuschelte, und vermutlich würde nur ihr Reichtum sie davor schützen, mit Steinen beworfen zu werden.
Andererseits war es Fredericks Kind, und wenn sie ihn nie wiedersehen durfte, würde sie wenigstens einen Teil von ihm behalten
– seine Tochter oder seinen Sohn.
Der einzige Helfer, dem sie sich in dieser Not anvertrauen konnte, war Dr. Thurner. Er bestätigte nach einer kurzen Untersuchung, dass sie schwanger war, und er bemühte sich auf seine Weise, sie zu
trösten. »Schlimme Sache, aber wir werden die Situation schon in den Griff kriegen, Frau Paquin. Wir sagen einfach, Sie wollten
nach all der Aufregung IhrerGesundheit etwas Gutes tun und nach Karlsbad fahren. Dort können Sie gebären und sich erholen, dann geben Sie das Kind in
eine Pflegefamilie …«
Sie schüttelte ganz entschieden den Kopf. »Nein. Frederick ist bei einer Pflegefamilie aufgewachsen und ich im Waisenheim.
Unser Kind soll in einer schöneren Umgebung groß werden.«
Der Arzt blies die Backen auf und stieß pfeifend die Luft aus. »Sie wollen doch nicht etwa verlauten lassen, dass es von Hansen
ist?«
»Soll ich das ableugnen?«
»Natürlich werden Sie das leugnen. Ich werde bestätigen, dass Ihr verstorbener Gatte in seinen letzten Lebenswochen, aufgeputscht
durch das Aphrodisiakum, zweifellos noch in der Lage war, ein Kind zu zeugen. Und das auch getan hat.«
Sie lächelte matt. »Oh, Doktor! Wer soll uns das glauben?«
Er setzte sich zu ihr und ergriff ihre Hände. »Ob man es uns glaubt oder nicht, Sie müssen vor der Öffentlichkeit von jedem
Verdacht reingewaschen werden. Denken Sie an das Kind. Soll es als Nachkomme eines verurteilten Verbrechers in die Welt treten?
Es hat ein Erbe zu erwarten. Es hat ein Recht darauf, unbefleckt seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen.«
So redete er ihr noch eine ganze Weile zu, bis sie seufzend fragte: »Was raten Sie mir? Was soll ich jetzt machen?«
»Weiterhin Reformkleider tragen«, antwortete er mit einem spitzbübischen Lächeln. »In diesen Säcken sieht man keinen Bauch.
Das hält Ihnen noch gute zwei Monate das Geschwätz vom Leib. Bleiben Sie möglichst viel im Haus. Sie sind ja noch im Trauerjahr,
da fällt es nicht auf, wenn Sie nicht ausgehen. Dann bekommen Sie das Kind in aller Stille, und ich werdeeinen Kollegen ausfindig machen, der mit mir zusammen bestätigt, dass es von Ihrem Gatten ist. Sie müssen dann nur noch sagen,
dass es tatsächlich so war.«
»Ach, Doktor. Ich bin so schlecht im Lügen.«
»So bitter das klingen mag: Die Wahrheit hilft Ihnen jetzt nicht weiter. Und erst recht nicht Ihrem Kind. Sie wissen, wie
bösartig die Gesellschaft sein kann.«
Schließlich ließ sie sich überzeugen. Er hatte recht. Sie selbst mochte den Skandal durchstehen, aber was war mit dem Kind?
Es hatte ein Recht darauf, von den Menschen geachtet und geliebt zu werden. Außerdem würde es ihr das Herz brechen, ihm zu
erklären, sein Vater wisse nichts von ihm und sei wegen eines Verbrechens des Landes verwiesen worden. Da war es doch einfacher
zu sagen, sein Vater sei gestorben, bevor es geboren wurde. Und wer weiß? Vielleicht würde das auch ihren guten Ruf bei den
Bürgern wiederherstellen.
Es waren schmerzhaft einsame Wochen, die Louise durchlebte. Außer ihrem Arzt konnte sie sich niemandem anvertrauen. Amy hätte
ihr zwar keine Vorwürfe gemacht, weil sie ein uneheliches Kind bekam, aber sie hätte sich darüber entrüstet, dass es Fredericks
Kind war. Und wen gab es sonst noch, den sie von Herzen mochte und dem sie wirklich vertraute? Niemanden.
Es war ihr selbst nicht bewusst, dass sie gerade in dieser Zeit erwachsen wurde. Allein mit ihren Sorgen und Nöten, war sie
auf sich selbst gestellt und trug die Verantwortung für ein ungeborenes Kind. Dr. Thurner bemühte sich in bester Absicht um sie, aber er war kein Mann, dem sie ihre Herzensängste anvertrauen konnte, ihre
Einsamkeit in den qualvollen Nächten, in denen sie sich schluchzend im Bett zusammenkrümmteund
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