Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
die Arme um den Bauch schlang, der dieses winzige Leben barg.
Und sie musste jeden Tag aufs Neue an die Leiden denken, die Frederick in dieser Zeit durchmachte. Keinen Augenblick lang
dachte sie an ihn als einen Verbrecher, der seine gerechte Strafe verbüßte. Sie war empört über die Ungerechtigkeit der Justiz,
die ihn für etwas bestrafte, das sie selbst nicht als strafbar empfand, und fluchte in hilflosem Zorn den Richtern. Ein ums
andere Mal war sie nahe daran, ihm zu schreiben, dass sie ein Kind von ihm erwartete, aber Dr. Thurner riet ihr dringend davon ab. Frederick habe sie gebeten, keinen Kontakt mit ihm aufzunehmen, sie möge diesen Wunsch
respektieren, um ihm und sich selbst nicht noch mehr Kummer zu machen.
»Wie kann es ihn kränken, wenn ich ihm schreibe, dass er Vater wird?«, protestierte sie. »Warum sollte es ihn nicht freuen?«
»Louise.« Er streichelte beruhigend ihre Hände. »Es würde ihn nur noch mehr quälen, von einem Kind zu hören, das er niemals
sehen, niemals in den Armen halten wird. Wir können das Urteil des Gerichts nicht ändern. Sie beide müssen aufeinander verzichten.«
Louise blickte auf, plötzlich von neuer Hoffnung erfasst. »Ich werde noch einmal mit Dr. Taffert sprechen. Es muss eine Möglichkeit geben, das Urteil zu mildern.«
»Und welche Möglichkeit sollte das sein? Ich will Sie nicht entmutigen, aber Sie haben so gut wie keine Chance. Der Kaiser
allein kann Begnadigungen aussprechen, und er wird das in keinem Fall bei einem verurteilten Ausländer tun, der ohnehin deportiert
wird.«
Sie blieb starrsinnig. »Es muss einen Weg geben.«
Dr. Taffert hörte sich ihre Bitte an. Als sie geendet hatte, nahm er seinen Kneifer ab und putzte ihn unnötig lange. Zweifellos
dachte er über eine Möglichkeit nach, ihr zu helfen – und an dem Fall weiterhin gutes Geld zu verdienen. Aber es schien ihm
nichts Rechtes einzufallen.
»Frau Paquin, ich hole aus einem Fall gerne heraus, was möglich ist. Keiner meiner Mandanten, auch wenn er schuldig ist, soll
härter bestraft werden, als er es verdient hat. Aber ich kann an der Verurteilung zur Kerkerhaft nichts ändern, da Herr Hansen
geständig gewesen ist.«
»Und die Landesverweisung?«
»Er ist Ausländer, da ist die Deportation nach verbüßter Strafe der übliche Weg. Ich kann Ihnen nicht helfen.« Als er jedoch
ihre Tränen sah, fügte er hinzu: »Vielleicht fällt mir noch etwas ein. Ich werde mich bemühen. Aber ich sage Ihnen gleich,
machen Sie sich keine Hoffnungen, es steht neunundneunzig zu eins, dass ich Ihnen helfen kann.«
Q uälende V erwirrung
1
Im Juli begann Louise zu merken, dass es mit den Reformkleidern allein bald nicht mehr getan sein würde. Obwohl das Kind so
zart zu werden versprach wie sie selbst, war das Bäuchlein doch nicht mehr zu übersehen. Es war nur noch eine Frage der Zeit,
bis man es in der Apotheke bemerken würde, und sie konnte auch Amy nicht ewig hinters Licht führen.
Es war Zeit, nach Karlsbad zu fahren. Dr. Thurners Rat folgend, schien es ihr nun doch besser, das Kind weitab von zu Hause zu bekommen und in dem berühmten Badeort
zu bleiben, bis es abgestillt war.
Doch es kam ganz anders. Eines Morgens überfielen Louise unmittelbar nach dem Erwachen so heftige Schmerzen im Unterleib,
dass sie kaum aufstehen konnte. Panik überkam sie, als ihr klar wurde, dass die Wehen eingesetzt hatten – viel zu früh. Sie
rief Dr. Thurner an, dann stolperte sie ins Badezimmer und kauerte sich dort auf dem Hocker neben der Badewanne zusammen, die Schenkel
eng zusammengepresst, als könnte sie das Kind damit halten. Ihr war klar, dass es nicht würde leben können, dass es vielleicht
schon tot war und deshalb jetzt abging. Sie fürchtete, zu verbluten, alsplötzlich ein Schwall warmer Flüssigkeit ihre Beine hinablief, und atmete auf, als sie merkte, dass es kein Blut war, sondern
Fruchtwasser.
Als Dr. Thurner eintraf, rannen ihr vor Angst und Erschöpfung die Tränen übers Gesicht. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, stammelte
sie.
Er wies mit seinem Krückstock zur Tür. »Sie brauchen gar nichts zu tun. Der Sanitätswagen steht schon bereit. Die Männer mit
der Tragbahre kommen gerade die Treppe herauf, um Sie zu holen. Atmen Sie ganz ruhig.«
Louise wurde von zwei Sanitätern in weißen Kitteln auf eine Bahre gehoben und mit Riemen festgeschnallt – eine weise Vorsichtsmaßnahme,
denn auf der steilen
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