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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Sandmann
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verstehen?«
    Einen Augenblick lang veränderte sich Amys Gesicht auf eine Weise, dass Louise die Freundin entsetzt ansah. Es war, als wäre
     Amy vor ihren Augen gestorben, so grau und eingefallen waren ihre Züge geworden, entstellt von einem unerträglichen Schmerz.
     Dann, mit einer gewaltigen Anstrengung, die ihren ganzen Körper erschütterte, fand die Engländerin ihre Fassung wieder. Die
     verkrampften Züge entspannten sich, die Farbe kehrte zurück in die aschgrauen Wangen. Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande.
     »Ich gehe jetzt, damit du schlafen und dich erholen kannst. Ich komme bald wieder«, sagte sie und verließ eilig den Krankensaal.
    Was ging bloß in Amy vor? Es war Louise ein Rätsel und sie wusste nicht, ob sie es jemals würde lösen können. DasEntsetzen auf dem Gesicht der Freundin sagte ihr, dass Amys Widerwillen gegen die Männer einer tiefen Qual entsprang. Sie
     fragte sich bang, ob es möglich war, dass ein Mann ihr Gewalt angetan hatte. Oder hatte sie einen anderen Schaden erlitten,
     so schmerzhaft, dass sie dem ganzen Geschlecht nur noch Abscheu entgegenbrachte?
    Dann musste sie wieder an Amys Worte denken. ›Wir machen Pläne.‹ Wir.
    Obwohl Louise noch sehr geschwächt war, überkam sie großer Zorn. Sie hatte es satt, ständig am Gängelband anderer Leute zu
     laufen. Und so fasste sie einen kühnen Entschluss.

2
    Die Schaulustigen konnten an dem warmen Frühlingstag nicht genug bekommen von dem bunten Treiben am Hamburger Hafen, den die
     Sonne in strahlende Farben tauchte. Sie standen auf dem Ponton der Landungsbrücken und sahen einem Passagierdampfer nach,
     der gerade abgelegt hatte und die Elbe hinab Richtung Nordsee fuhr. Ein anderer, kleinerer lag im Hafen, und das Deck wurde
     von Matrosen geschrubbt. Auf dem gegenüberliegenden Elbufer gab es Werftanlagen mit Kränen und rauchenden Schloten, und wenn
     man sich ein Stück nach rechts drehte, konnte man bis hinunter nach Altona sehen, wo sich Industriegebäude angesiedelt hatten.
    Nirgendwo sonst in der Hansestadt war die Gesellschaft so durchmischt wie am Hafen. Vornehme Damen in bunten wallenden Gewändern
     fanden sich da ebenso wie Kinder, dieden Passagieren auf den Ausflugschiffen winkten, dazwischen tummelten sich Matrosen, und ein Stück weiter flussaufwärts warteten
     Hafenarbeiter auf die Barkassen, die sie zu ihrer Schicht brachten.
    Irgendwo in dem Gewirr trug ein in brauner Livree gekleideter Dienstmann zwei schwere Koffer aus dunklem Leder. Es war das
     Gepäck von Louise Paquin, die an diesem Tag eine lange Reise antreten wollte, um ein neues Leben fernab von allen Erinnerungen
     zu beginnen. Scharen von Menschen drängten sich um sie, eine frische Brise fuhr durch ihre Gewänder und riss ihr beinahe den
     Hut vom Kopf. Rund um Louise brandete der ungeheure Lärm, der die Abfahrt eines Ozeandampfers stets begleitete.
    Passagiere, Lastträger, Matrosen und Offiziere eilten hin und her. Angehörige und Freunde winkten den Reisenden, die sich
     hoch über dem Kai an der Reling zusammendrängten. Ein warnendes Tuten ließ die Menschen erzittern; das erste Zeichen, dass
     es an der Zeit war, Abschied zu nehmen und sich an Bord zu begeben.
    Louise wurde von der Menschenmenge hin und her geschoben, die sich am Eingang drängte, wo der Zahlmeister die Karten entgegennahm
     und den Passagieren ihre Kabinen zuwies. Wie sie jetzt in der Menge der Reisenden verschwand, so war sie dabei, aus ihrem
     ganzen Leben zu verschwinden. Am Morgen hatte sie heimlich zwei Koffer gepackt und war in eine Droschke gestiegen, ohne sich
     von irgendjemandem zu verabschieden. Nur einen Brief hatte sie auf dem Kaminsims der Magisterwohnung hinterlassen. Schließlich
     wollte sie nicht den Verdacht erwecken, sie sei ermordet oder entführt worden.
    Zweifellos würde man ihr diese heimliche Flucht übel nehmen,aber sie hatte es einfach nicht mehr ertragen, von allen Seiten geschulmeistert zu werden und sich nicht wehren zu können.
     Zu fliehen, selbst in ein unbekanntes Land, in dem sie es zweifellos nicht leicht haben würde, erschien ihr einfacher, als
     den wohlmeinenden Zwang ihrer Freunde abzuwehren. Und was hielt sie noch in Deutschland? Frederick war für sie verloren und
     ihr gemeinsames Kind ebenfalls. Sie hatte niemanden mehr. Und mit all den belastenden Erinnerungen würde es schwer werden,
     ein neues, glücklicheres Leben zu beginnen.
    Louise versetzte es einen Stich ins Herz, als sie die vielen Auswanderer sah,

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