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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Sandmann
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anderer Menschen. Wer war überhaupt noch hier? Frederick natürlich, und die Nonnen, die
     Totenwache hielten, und Hermine. Ihr war zumute, als dringe sie ins Innere einer ägyptischen Pyramide vor, so stumm und feindselig
     umgab sie das Haus mit seiner Totenkammer im Zentrum. Plötzlich erschienen ihr all die vertrauten Flure und Treppen fremd
     und finster, von einem bösartig lauernden Leben erfüllt, das hinter Ecken und Winkeln hervorspähte und sich immer gerade weit
     genug zurückzog, dass sie es nicht mit ihren Sinnen wahrnehmen konnte. Ihr graute vor dem Gedanken, dass sie in diesem Grabmal
     übernachten musste.
    Sie schüttelte sich und ermahnte sich selbst, nicht albern zu sein.
    Mit nervösen Schritten eilte sie durch die Halle, der Doppelflügeltür im Hintergrund zu, die in den Theatersaal führte. Eine
     der Hälften stand offen, und gedämpfte, aber scharfe Befehle waren zu hören.
    »Mehr nach links! Was soll das, guter Mann, so steht er doch schief! Lassen Sie mich das einmal von hier aus sehen   … Ja, tatsächlich! Schief! Sehen Sie selbst!«
    Louise lugte hinein und sah Hermine, die Befehle erteilte, und die Bestatter, die Raouls Sarg wie ein neu geliefertes Möbelstück
     hin und her rückten, um die günstigste Stelle im Raum zu finden. Im trüben Tageslicht wirkte der Saal riesenhaft und beängstigend
     düster, ein graues Höllenmaul, das sich bereit machte, die geringen menschlichen Überreste zu verschlingen. Da er seit Langem
     nicht mehr benutzt worden war, war die Luft darin stickig und kalt.
    Die Männer hatten ihre Arbeit schnell und geschickt gemacht. Der Teppich war ausgerollt worden, flankiert voneiner Miniaturallee aus Immergrün und Palmen, wie sie auch draußen durch die Halle führte. Ein Sockel war aufgebaut, dahinter
     ein Baldachin, von dessen Seiten schwarze Schleier herabhingen, und zu Häupten des Sarges ein silbergeschmücktes, schneeweißes
     Kreuz. Zwei schwarz gepolsterte Hocker – die Louise in diesem Arrangement an Nachtkommoden zu beiden Seiten eines Prachtbettes
     gemahnten – trugen die Ehrenzeichen des Verstorbenen. Zwölf Kerzen, mannshoch auf ihren vergoldeten Leuchtern, umrahmten den
     Sarg, dessen Ausrichtung jetzt endlich Hermines Zustimmung gefunden hatte.
    »Lassen Sie ihn so stehen und schieben Sie ihn ja nicht noch einmal herum!«, befahl sie. »Und stellen Sie diese Blumen hier   …«
    »Hermine«, fiel Louise gereizt ein, »ich bin überzeugt, die Männer wissen genau, wie Raoul alles gewünscht hat. Lass sie doch
     einfach machen.«
    »Wo kommst du denn her? Und, um Himmels willen, wie siehst du aus?« Hermine hatte sich umgewandt und starrte sie entsetzt
     an. »Was soll diese Maskerade? Willst du in diesem verrückten Firlefanz den Trauergästen über den Weg laufen? Du machst uns
     nichts als Schande!« Aufs Höchste erregt, überließ sie die Männer ihrer Arbeit und watschelte auf Louise zu. »Bitte zieh das
     sofort aus, bevor du uns alle lächerlich machst!«
    »Ich wüsste nicht, was daran lächerlich ist. Alle modernen Frauen tragen Reformkleider, und ich finde das sehr vernünftig.«
    »Man muss nicht alles nachmachen, was einem überspannte Gänschen vormachen. Und hatten wir nicht vereinbart, dass du dich
     im Hintergrund hältst?«
    »Bei den offiziellen Feierlichkeiten, ja. Aber in meinem eigenen Haus werde ich wohl noch herumlaufen dürfen.«
    »Deinem eigenen Haus? Dass du dich da nicht täuschst! Noch ist das Testament nicht eröffnet!«
    Louise krampfte die Hände ineinander. Sie kochte innerlich vor Wut, aber die bombastische Matrone jagte ihr auch Angst ein.
     Dass sie ihr zu widersprechen wagte, entsprang aus der Erinnerung daran, dass Raoul keine hohe Meinung von seiner Schwester
     und seinem Neffen gehabt hatte. Louise spürte, wie ein Schwindel sie ergriff. Sie musste sich mit einer Hand am Türstock abstützen,
     aber es gelang ihr, mit ruhiger Stimme zu sagen: »Ich gehe jetzt. Dir ist es ohnehin lieber, wenn du allein das Regiment führen
     kannst.«
    Hermine konnte keine Antwort darauf geben, denn ebenda erschienen die Nonnen, die den Aufbau des Totenbettes abgewartet hatten,
     und sie musste sich darum kümmern, dass Stühle für die ehrwürdigen Frauen bereitgestellt wurden.
    Louise eilte durch die Halle, die Treppe hinauf in den kleinen Salon. Ihre Fäuste waren geballt, sie grub die Zähne hart in
     die Unterlippe. So wütend war sie, dass sie gar nicht merkte, wie Frederick hinter ihr den Flur entlangkam.

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