Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Vater fragen. Er kennt viele Leute …«
»Und er würde das wirklich tun?«
»Well, Daddy tut eigentlich alles, worum ich ihn bitte«, erklärte Amy leichthin. »Er braucht ja nicht mehr zu tun, als bei
den richtigen Leuten einen kleinen Wunsch zu äußern. England ist ein wichtiger Handelspartner, dem man sich gerne gefällig
zeigt. Falls er nicht will, werde ich meine Schwestern im Verein fragen, ob vielleicht eine von ihnen Beziehungen zu den richtigen
Leuten hat. Ich könnte …«
Sie stockte, als Frederick in der Tür erschien und ihnen winkte, sie möchten zurück in die Kanzlei kommen.
Dr. Taffert begrüßte sie schon an der Tür mit den Worten: »Volltreffer!« Er wedelte mit einem Blatt Papier. »Hier ist das Gutachten.
Ein wahres Teufelszeug. Es wundert mich, dass Herr Paquin nicht schon viel eher daran gestorben ist.«
Er bedeutete ihnen, sich zu setzen, dann rieb er seinen Kneifer blank. »Nun hören Sie: Der Chemiker schreibt, solche Tinkturen
enthalten zumeist Ginseng, Nashornpulver, Spanische Fliege und gemahlene Gewürze in einer scharfen Alkohollösung, das scheint
auch hier der Fall zu sein. In diesen Phiolen hat er jedoch außerdem eine beträchtliche Menge metallischer Gifte gefunden,
vor allem Bleizucker und Arsenik.«
Louise nickte nachdenklich. Arsenik war ein beliebtes Mittel, um verwelkender weiblicher Schönheit und erschlaffender männlicher
Potenz auf die Beine zu helfen. Wenn man es mit Bedacht dosierte, konnte man es dem Körper zumuten. Dabei entwickelte sich
schnell eine solche Gewöhnung, dass manche Dosierungen vertrugen, die einen anderen drei Mal getötethätten. Raoul hatte Louise einmal auf ein altes Paar mit straff glänzender Haut und schimmernden Haaren hingewiesen, Stammkunden
der Apotheke, die immer noch diesem aus der Mode gekommenen Laster frönten. Angefangen hatten sie in ihrer Jugend mit den
arsenikgetränkten Fliegenfängern, die in Milch eingeweicht wurden, um das Gift herauszuschwemmen, und inzwischen aßen sie
das tödliche Metall mit Zuckerlöffeln, ohne andere Beschwerden zu verspüren als die Magenschmerzen, gegen die sie regelmäßig
Arzneimittel kauften. Freilich, irgendwann war die Toleranzgrenze überschritten, und der Körper brach unter dem ständigen
Ansturm der schädlichen Substanz zusammen.
»Vor allem aber«, fuhr Dr. Taffert fort, »enthält das Präparat dem Bericht zufolge Spuren von Thallium, einem der bösartigsten metallischen Gifte überhaupt.«
»Thallium? Helfen Sie mir auf die Sprünge«, bat Louise.
Der Anwalt las vor: »Es handelt sich hierbei um ein weiches, silbergraues, dem Blei sehr ähnliches Metall. Thallium ist ein
Element, das eine Flamme grün färbt. Deshalb erhielt es seinen Namen; er stammt aus dem Griechischen und heißt soviel wie
›Blattgrün‹. Thallium wird leicht und schnell von Magen und Darm resorbiert und in den Körperzellen abgelagert. In hohen Dosen
führt es innerhalb von zehn bis vierzehn Tagen zu einer tödlichen Erkrankung. Geringere Mengen verursachen eine chronische
Vergiftung, die längere Zeit unerkannt bleiben kann und deren Symptome denen des Saturnismus recht ähnlich sind. Allerdings
gibt es einen verräterischen Hinweis, wenn Thallium im Spiel ist, nämlich Haarausfall. Es ist äußerst gefährlich und dennoch
leicht erhältlich, da es unter den Handelsnamen ›Zeliokörner‹ und ›Zeliopaste‹ zur Vernichtung von Ratten verkauft wird.«
»Zeliokörner! Ich dachte, die sind nur für Ratten tödlich«, rief Amy überrascht aus.
Dr. Taffert schüttelte den Kopf. »Nein, auch für Menschen. Ich hatte schon einige Mordfälle, bei denen sie verwendet wurden.«
Er legte das Gutachten beiseite und rieb sich zufrieden die Hände. »Dieses Ergebnis ist sehr erfreulich, Frau Paquin. Nun
sollten wir, um die Verteidigung zu untermauern, noch den Laden aufsuchen, in dem Herr Paquin die Schatulle gekauft hat. Haben
Sie eine Adresse?«
Sie nickte und reichte ihm den Zettel, auf dem der Magister die Anschrift notiert hatte.
»Hm.« Dr. Taffert runzelte die Stirn. »Das ist im Gängeviertel … Keine angenehme Gegend. Ansehen möchte ich es mir dennoch. Kommen Sie mit, Herr Hansen? Und Sie, Doktor?«
»Wenn Sie es wünschen.« Frederick nickte. Der Doktor schloss sich ebenfalls an.
Amy protestierte. »Louise und ich kommen auch mit.«
»Das ist keine Gegend für Frauen«, sagte Frederick bestimmt.
»Humbug!«, rief Amy ärgerlich.
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