Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
dem Arrangement für das Galadiner zum Andenken an Raoul. Er war ein bedeutender Mann und soll entsprechend
gewürdigt werden. Ich möchte alles hierhaben, was in Hamburg Rang und Namen hat, also mach dich ans Werk. Ach, übrigens …« Sie wandte sich Louise zu. »Ich hoffe, du hast wenigstens so viel Anstand, diesem gesellschaftlichen Ereignis unter einem
passenden Vorwand fernzubleiben. Wie gesagt, es genügt vollkommen, wenn ich als seine Schwester die Familie vertrete. Deine
Anwesenheit wäre völlig unangebracht.«
»Ich bin seine Witwe!«, sagte Louise mehr aus Trotz, denninsgeheim war sie froh, dass mit dem Begräbnis die öffentlichen Auftritte für sie vorbei waren.
Eugenie lächelte Louise zuckersüß an. »Aber meine Liebe, dich hat schon als seine Frau niemand ernst genommen, geschweige
denn als seine Witwe. Du warst eine Blume am Revers seines Anzugs, mehr nicht, und jetzt bist du überhaupt nichts mehr. Also,
mach uns das Leben nicht unnötig schwer.« Sie wandte ihr den Rücken zu, und gleich darauf rannte sie, wie es ihre Art war,
übermütig wie ein spielendes Kind die Treppe hinauf und hinunter. Jubelnd vor Freude rief sie über das Geländer der Galerie
in die Halle: »Das ist wunderbar, Mutter, stell dir nur vor, was für Bälle wir veranstalten werden! Wie traumhaft es aussehen
wird, wenn ich in meinem Ballkleid diese Freitreppe hinunterschreiten werde. Ach, Onkel Raoul …« Sie warf Kusshände in die Luft. »Endlich einmal hast du etwas Vernünftiges mit deinem Geld getan! Ein Jammer, dass du das
nicht mehr erleben kannst …« Sie lachte schallend.
2
Louise und Frederick zogen sich in den Salon zurück, wo noch die Reste ihrer Mahlzeit standen. Die junge Witwe war sprachlos
über das Testament und die Dreistigkeit, mit der Hermine und ihre Kinder das Haus in Beschlag nahmen, aber bei allem Ärger
empfand sie eine gewisse Erleichterung, dass wieder Menschen da waren.
Frederick schritt auf die raumhohen Fenster zu, die auf denGarten hinausgingen. Er starrte in den grauen Februarnachmittag. »Ich bin fassungslos«, sagte er kaum hörbar. »Das kann nicht
sein letzter Wille sein. Er war verwirrt. Er wusste, wer ihn aufrichtig liebte. Das warst du, Louise. Und auch ich. Er hätte
nicht gewollt, dass das Geld dieser Madensack mit seinem vom Äther zerfressenen Gehirn bekommt … Niemals!«, stieß er hervor und drehte sich zu Louise um. Er ging zur Vitrine mit den Spirituosen, nahm den Brandy heraus,
hielt ihn hoch und nickte dabei Louise zu. Sie zuckte nur die Achseln. Er schenkte zwei Gläser ein und setzte sich zu ihr.
Sie nahm ein Glas und nippte vorsichtig daran. Frederick nahm einen kräftigen Schluck. »Nein. Wir lassen uns das nicht gefallen,
Louise. Das dürfen wir nicht! Raoul hätte das nicht gewollt. Er hätte es sich nie verziehen, uns allen so in den Rücken zu
fallen. Wir gehen zu deinem Anwalt, heute noch.«
Eigentlich hatte Louise allein zu dem Anwalt gehen wollen, aber Frederick beharrte darauf, sie zu begleiten. Einerseits war
ihr das nicht unwillkommen, denn die Eröffnung des Testaments war ein harter Schlag gewesen, und ihr schien, dass sie Beistand
brauchte. Andererseits ärgerte sie sich über diese Schwäche. Amy brauchte sicher nie einen Beschützer, egal, was ihr zustieß.
Als sie in die Kanzlei gebeten wurden, entschuldigte sie sich verlegen bei dem Anwalt, dem dieser Überfall sichtlich unangenehm
war. »Ich weiß, es gehört sich nicht, einfach so hereinzuschneien, aber uns ist etwas Unglaubliches widerfahren: Raoul hat
uns alle enterbt!«
Jetzt merkte Dr. Taffert auf – vielleicht, weil er in diesem Fall um sein Honorar bangen musste. »Nehmen Sie Platz«, sagte er, und nachdem
er seinen Sekretär angewiesen hatte,den nächsten Termin eine halbe Stunde zu verschieben, fügte er hinzu: »Nun erzählen Sie mir alles der Reihe nach.«
Louise fing an zu erzählen und ließ nichts aus. Der Anwalt hörte aufmerksam zu. Als sie ihm die Kopie des Testaments reichte,
fragte er: »Sie haben das Original gesehen? Es war eindeutig die Schrift Ihres Gatten? Nun … Wenn an der Rechtsgültigkeit der Unterschrift kein Zweifel besteht, müssen wir nachweisen, dass Herr Paquin nicht mehr geschäftsfähig
war, als er es abfasste. Die Tatsache, dass er an einer Vergiftung litt, ist unbestritten, und ich werde versuchen, unbeteiligte
Zeugen für seine geistige Konfusion ausfindig zu machen. Sie sagten doch,
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