Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
dass er sich häufig auf dem Polizeirevier beklagte
und man ihn dort nicht ernst nahm. Das wäre schon einmal eine Möglichkeit.« Er lehnte sich zurück, nahm den Kneifer ab und
fuchtelte damit in der Luft herum. »Das sollte alles nicht zu schwierig sein. Das Problem ist, dass die Mühlen der Gesetze
langsam mahlen. Bis ein Erbstreit entschieden ist, können Monate, sogar Jahre vergehen, und zuletzt ist von dem heiß umstrittenen
Erbe nichts mehr da. Wir müssen auf der Stelle Maßnahmen setzen, damit Ihnen das Erbe erhalten bleibt. Lassen Sie sich auf
keinen Fall aus dem Haus vertreiben, geben Sie in keinem Punkt nach! Sobald gegen das Testament Einspruch erhoben wurde, steht
die Hinterlassenschaft nicht mehr zur freien Verfügung des derzeitigen Erben. Ich werde mich gleich darum bemühen, eine vorläufige
Verfügung vom Gericht zu erwirken, damit der Baron nicht darauf zugreifen kann. Außerdem schicke ich Ihnen noch heute einen
Assessor, der eine Inventur der gesamten Hinterlassenschaft vornehmen wird, bevor die Hälfte aller Wertgegenstände verschwunden
ist. Sie kennen ja den Spruch: Verwandte sind wie Ratten – was sie nicht gleich fressen können, schleppensie weg.« Der Anwalt verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln.
Damit verabschiedete er sie, nachdem er ihnen noch einmal eingeschärft hatte, sich von Drohungen nicht einschüchtern zu lassen
und keinen Fußbreit nachzugeben.
Als sie auf die Straße hinaustraten, hielt Frederick plötzlich inne. »Hat sich eigentlich der Schlosser schon gemeldet, bei
dem du einen neuen Schlüssel für Raouls Tresor in Auftrag gegeben hast?«
»Nein, er sagte, es sei eine schwierige Arbeit und würde, da er zurzeit viel zu tun hätte, zweifellos eine Woche oder noch
länger dauern.«
»Ich gehe bei ihm vorbei. Ich möchte nämlich vermeiden, dass die Pritz-Toggenaus die Ersten sind, die in den Safe schauen.
Meines Wissens befinden sich zwar nur die Geschäftsbücher darin, aber vielleicht gibt es auch noch andere Wertgegenstände.«
Louise machte sich derweil auf den Rückweg. An der Ecke Gänsemarkt /Jungfernstieg hielt sie kurz inne und überlegte, ob sie bei Amy vorsprechen und ihr die Katastrophe berichten sollte. Ein
plötzlich herabstürzender Regenguss machte ihr die Entscheidung leicht. Sie sprang mit einem Satz unter das schützende Vordach
und ließ den Klopfer gegen die Tür fallen.
Einen Augenblick hatte sie Angst, der Butler würde sie wegschicken, da sie ganz ohne Anmeldung erschien. Aber dieser war offensichtlich
an das überraschende Auftauchen fremder Damen gewohnt. Er bat sie in das prunkvoll eingerichtete Foyer, nahm ihr den feuchten
Mantel ab und schickte ein Dienstmädchen zu Lady Harrington.
Eine Minute später kam Amy in ihrer üblichen stürmischen Art die Treppe herunter.
»Louise, my dear! Ich wollte eben zu dir kommen. Ich habe so wunderbare Nachrichten für dich. Daddy hat erreicht, dass der
Magister die Konzession bekommt.« Erwartungsvoll schaute sie die Freundin an.
Louise brach in Tränen aus.
»Ach, Amy … Die Apotheke gehört jetzt dem verrückten Baron, und der Magister ist wie vom Erdboden verschluckt!« Als Amy sie ratlos anstarrte,
fuhr sie fort: »Raoul hat mich enterbt. Uns alle.« Mit brüchiger Stimme erzählte sie von dem Überfall der Verwandten.
Amy erhob sich – in ihrem Ausdruck und in ihrer Haltung erinnerte sie an eine Katze, die vor dem Angriff den Buckel krümmt.
»Das lässt du dir auf keinen Fall bieten! Du bleibst im Löwenhaus!«
»Nein.« Langsam fand Louise ihre innere Haltung wieder. Sie begann Pläne zu schmieden. »Ich will auf keinen Fall mehr in dem
Haus bleiben. Ich ziehe in die Wohnung über der Apotheke, da laufe ich meiner Verwandtschaft nicht dauernd vor die Füße. In
das Gartenhaus an der Alster will ich jetzt im Winter nicht. Da würde ich umkommen vor Traurigkeit.«
»Die Wohnung über der Apotheke klingt wunderbar!« Amy hakte Louise energisch unter. »Komm, wir gehen rüber und kümmern uns
darum, dass du gleich einziehen kannst.«
Louise brach es beinahe das Herz, als sie in die dunkle, muffige Apotheke trat. Man merkte deutlich, dass die letzten Tage
nicht mehr geputzt und gelüftet worden war. Eine enge Wendeltreppe führte zu der Magisterwohnung hinauf. Die Mansardenwohnung
war nicht groß, sie bestand aus einem kleinen Salon, einem Arbeitszimmer, einem Schlafzimmer, einem Kabinett und einem winzigen
Dienerzimmer. Aber
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