Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
es sich bei dem Erbe überhaupt handelt. Ich werde auch die Bankkonten in meine Liste aufnehmen sowie den Wert des Hauses und
der Apotheke. Sie dürfen vorderhand hier wohnen und sich für ihren persönlichen Bedarf aus den Vorräten bedienen, aber nichts
verkaufen oder versetzen und auch keine Änderungen am Haus vornehmen.«
Emil verzog das Gesicht, aber die scharfen Worte des Assessors hatten ihn offenbar zur Vernunft gebracht. In ruhigem Ton erklärte
er: »Meine Mutter hat bereits etwas verkauft, um den Leichenschmaus zu finanzieren, nämlich die Standuhr in der Halle.«
»Falls das Gericht zugunsten der Witwe entscheidet, müssen Sie ihr diese Standuhr ersetzen. Können wir jetzt gehen?«
Widerwillig wies Emil ihn die Treppe hinauf, um vom Dachboden abwärts das Haus zu inventarisieren.
Louise packte zwei Taschen voll und verließ das Haus durch die Hintertür. Die Schlüssel der Apotheke nahm sie mit, damit niemand
von den Pritz-Toggenaus dort eindringen konnte.
Als Louise und Amy die Magisterwohnung betraten, öffnete die Engländerin sogleich ihr Retikül und stellte ein halbes Dutzend
Gegenstände auf den Tisch, alle winzig, aber wertvoll. »Du wirst Bargeld brauchen, also …«
Louise starrte sie an. »Wann hast du das Zeug gestohlen?«
»Eben jetzt. Ihr wart alle so mit Streiten und Debattieren beschäftigt, da habe ich die Zeit genutzt, dir einen gewissen finanziellen
Rückhalt zu verschaffen. Schließlich haben deine Verwandten die wertvolle Standuhr verkauft, da hast du das Recht, ein paar
Kleinigkeiten zu versetzen.«
»Diese Kleinigkeiten sind sehr wertvoll«, bemerkte Louise, nachdem sie die Bronzefigurinen, die spannenlange antike Vase und
die gravierte Schale aus goldgefasstem Silber ausgiebig betracht hatte.
Amy zwinkerte ihr verschmitzt zu. »Ich weiß, ich verstehe etwas von Antiquitäten. Hungern wirst du also nicht.«
Louise war noch immer verblüfft, mit welcher Leichtigkeit die Diplomatentochter sich ihr Diebesgut angeeignet hatte. Aber
es war gut, dass sie es getan hatte. Wovon hätte Louise sonst leben sollen? Dass Frederick sie aus seinem Ersparten erhielt,
wollte sie nicht, und sie hatte keine eigenen Geldquellen. »Danke«, flüsterte sie.
3
Emil konnte nicht schlafen. Voll angekleidet stand er am Fenster seines dunklen Zimmers im Löwenhaus und zündete sich eine
Zigarette an der anderen an, während er auf den von Gaslampen prächtig illuminierten Jungfernstieg hinabstarrte. Feiner Regen
fiel, das Kopfsteinpflaster glänzte. Außer einem Wachmann, der seine Runde abschritt, war kein Mensch zu sehen.
Enterbt. Verdammt noch einmal! Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Was war dem alten Narren nur eingefallen?
Emil hatte sich bereits bei einem befreundeten Juristen erkundigt. Der Baron war nicht geschäftsfähig, das Gericht würde darauf
bestehen, dass ihm ein Beistand zur Verfügung gestellt wurde, und angesichts der Regelung im Testament würden sie niemandem
aus der Familie diese Rolle übertragen. Das dumme Weibervolk, seine Mutter und Schwester, glaubten, sie könnten sich jetzt
am aufgehäuften Gold bedienen, ohne sich um den Baron zu kümmern. Aber das ließ das Gesetz nicht zu. Alles bis zum letzten
Pfennig gehörte dem Baron und würde von dessen Vormund verwaltet werden. Nicht einmal vererben durfte er es ihnen.
Wenn er allerdings starb, ohne dass er ein Testament gemacht hatte … Der Juristenfreund hatte es ganz beiläufig erwähnt, aber Emil hatte scharf aufgemerkt. Julius von Pritz-Toggenau durfte
kein Testament verfassen, in dem er sie als seine Erben einsetzte. Aber wenn er starb, ohne einen Letzten Willen verfasst
zu haben – wozu er wohl auch kaum mehr in der Lage war –, dann erbten seine nächsten Anverwandten, wie es im Gesetz vorgeschrieben war.
Emil erfüllte dieser Gedanke mit Sorge. Er hatte seiner Mutter und seiner Schwester nichts davon gesagt. Aber es bestand die
Möglichkeit, dass sie von diesem Ausweg erfuhren, und die Versuchung war groß, einen sterbenskranken Mann zu beseitigen, um
damit das Tor zu einer Schatzkammer aufzustoßen. Der Oberleutnant machte sich keine Illusionen darüber, dass Eugenie durchaus
imstande gewesen wäre, etwas dergleichen zu tun. Und seine Mutter, die seit einem Vierteljahrhundert unter der Last dieser
unglückseligen Heirat stöhnte? Sie würde keine Hand heben, es zu verhindern. Er war der Einzige, der nicht wollte, dass dem
Baron
Weitere Kostenlose Bücher