Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Angst, und das Einzige, was sie zu sich nehmen konnte, war heißer Tee.
Frederick hatte ihn zubereitet und trank demonstrativ ein großes Glas davon, ehe er ihr einschenkte. »Dieses Verhalten verzeihe
ich deiner Freundin nie«, erklärte er im Tonfall eines beleidigten Kindes.
»Ach, Frederick. Sie will mir doch nur helfen.«
»Das will ich auch, aber ich gehöre ja bereits zu den dringend Tatverdächtigen.«
Sie streckte die Hände nach ihm aus. »Komm, schmoll nicht. Setz dich lieber zu mir.«
Er ignorierte den Diwan, auf den sie deutete, und ließ sichstattdessen auf der niedrigen Fußbank des Ohrensessels nieder. So konnte er den Kopf an ihre Hüfte lehnen, und Louise nahm
die stumme Aufforderung an und fuhr ihm liebkosend durch das dicke, widerspenstige schwarzbraune Haar.
»Sei vorsichtig, wenn du mich anfasst«, grollte er. »Denk an die teuflische Alraune.«
Sie lachte trotz ihres Elends. »Nun komm, sei nicht albern. Lass uns ernsthaft reden, wie wir mit dieser Situation zurechtkommen.«
»Verzeih mir.« Er zog ihre schlaffe Hand an die Lippen und küsste sie. »Ich werde jede Sekunde des Tages auf dich aufpassen.
Und in der Nacht auch.«
Sie schauderte am ganzen Körper. »Frederick, ich habe solche Angst. Erst Raoul, dann der Baron und jetzt ich. Was für ein
Ungeheuer spukt in diesem Haus? Meinst du, Emil versucht, mich zu ermorden, aus Rache, weil ich seine Schuldscheine nicht
bezahlen wollte?«
Frederick überlegte. Er konnte Emil nicht ausstehen, aber er beantwortete die Frage aus dem Blickwinkel der Vernunft. »Warum
sollte er? Außerdem ist er ein Feigling. Ich glaube nicht, dass er einen Mordversuch wagen würde, selbst wenn er etwas dabei
zu gewinnen hätte. Und wenn er dich umbringt, bekommt er das Geld auch nicht.«
»Aber wer sonst könnte es sein? Niemand hat durch meinen Tod irgendetwas zu gewinnen. Und warum sollte mich jemand so sehr
hassen?«
»Weil du jung und schön und begehrenswert bist«, antwortete er prompt. »Hässliche alte Weiber können das an einer anderen
Frau nicht ausstehen. Wer immer den Anschlag auf dich verübt hat, es war kein Mann. Es war garantiert eine Frau. Gift ist
ein typisch weibliches Mordinstrument. Soll ichdir sagen, wen ich im Verdacht habe? Paula Hahne. Sie ist nicht mehr die Jüngste, und sie hatte Grund, euch beide zu hassen
– Raoul, weil er dich anstelle von ihr geheiratet hat, und dich, weil du ihr den fetten Brocken vor der Nase weggeschnappt
hast.«
Louise entgegnete gedankenverloren: »Wir haben uns nie gut verstanden. Aber dass sie mich ermorden will, und auf eine so grässliche
Art dazu, das kann ich nicht glauben. Und warum sollte sie dem Baron etwas antun?«
Frederick rollte theatralisch die Augen zur Decke. »Frauen ist grundsätzlich alles Böse zuzutrauen.«
»Hör auf! Ich sterbe vor Angst, und du und Amy, ihr zankt euch darüber, ob Männer oder Frauen schlechter sind.«
Rasch nahm er sie in die Arme und drückte sie an sich. »Es tut mir leid. Aber würdest du das hinnehmen, ständig geschmäht
und verdächtigt zu werden?«
»Wahrscheinlich nicht. Ach, Frederick. Ich traue mich kaum noch, einen Bissen Brot zu essen.«
»Kriminalpolizeiinspektor Gützlow sagte doch, es sei vorerst alles nur ein Verdacht. Vielleicht hast du wirklich nur eine
Magenentzündung, wie der alte Thurner meint. Aber wir werden zur Sicherheit von jetzt ab auf jeden Bissen achten, den du isst,
und jeden Schluck, den du trinkst. Nichts ist unverdächtig.« Er packte ihre Hände und drückte sie so leidenschaftlich an seine
Brust, dass sie ein leises Seufzen ausstieß. »Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren, Louise. Ich lasse dich nicht
aus den Augen, solange auch nur die geringste Gefahr besteht.«
4
Der Abort war kalt wie ein Eiskeller, das Waschwasser nahe daran zu gefrieren. Louises nackte Füße schmerzten von der Kälte
der Fliesen, und so heftige Schauder beutelten ihren zarten Körper, dass ihre Zähne klapperten. Mit klammen Fingern zündete
sie die Kerze an, die auf einem Zinnteller auf dem Waschtisch stand, um sich wenigstens die Hände zu wärmen.
Sie hatte große Schmerzen. Mit einem leisen Wehlaut schlang sie die Arme um den Bauch und krümmte sich zusammen.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Er war so absurd, dass sie noch vor einem halben Jahr über sich selbst gelacht hätte, aber
jetzt hatte sie Todesängste und klammerte sich an jedes Fünkchen Hoffnung. Sie nahm die Kerze,
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