Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
suchte nach Worten. »Das Wort wird abgeleitet vom arabischen
Bedzehr
, dem persischen
Padzahr
oder dem hebräischen
Beluzaar
, alle in der Bedeutung von ›Schutz‹, ›Gegenmittel‹. Der Aberglaube schrieb dem Bezoarmächtige, Gift anzeigende und abwehrende
Wirkung zu, wenn man ihn in ein Glas Wein legt und diesen trinkt.«
Louise begriff sofort. Deshalb also hatte er gezögert, ihr Auskunft zu geben. Sie schluckte. »Raoul hat den Stein bestellt,
nicht wahr? Er meinte, er braucht ein Antidot gegen giftige Tränke, die wir ihm einzuflößen versuchen!« Mit einer heftigen
Bewegung schüttelte sie die Erinnerung ab. »Da wir ihn nun schon einmal bestellt und bezahlt haben, behalten wir ihn auch.
Als Rarität.«
Schlesinger warf ihr einen Seitenblick zu. Er wusste genau,was sie meinte. Der Bezoar sollte der Grundstein eines neuen Thesaurus werden, den Louise in Gedanken bereits vor sich sah
– diesmal nicht als Teil der Apotheke, sondern als eigenständiges Museum an einem gesonderten Ort.
Sie blickte auf, als Kriminalpolizeiinspektor Gützlow durch die Tür trat. Ein warmes Gefühl durchströmte sie bei dem Gedanken,
was er für sie riskiert hatte, als er Trattenbach einen Denkzettel für dessen Bosheit verpasst hatte, und sie lächelte ihm
strahlend entgegen.
»Was führt Sie zu uns? Sie werden doch nicht krank sein?«
»Nein, glücklicherweise nicht. Kann ich Sie unter vier Augen sprechen, Frau Paquin?«
»Aber ja.« Sie war ein wenig verwundert, jedoch keineswegs alarmiert. »Kommen Sie, wir gehen in die Magisterwohnung hinauf.«
Oben angekommen, machte der Kriminalpolizeiinspektor es sich in einem tiefen Sessel vor dem Kaminfeuer bequem und betrachtete
die junge Frau, die ihm gegenübersaß. Louise empfand ein leichtes Unbehagen. Er kam doch hoffentlich nicht mit schlechten
Nachrichten?
Ihm war offensichtlich nicht wohl dabei, als er sich an sie wandte.
»Sie werden die Frage merkwürdig finden, aber beantworten Sie sie bitte trotzdem. Haben Sie bemerkt, dass Ihnen in letzter
Zeit die Haare ausgehen? Dass besonders viele im Kamm oder der Bürste hängen bleiben?«
Sie fasste sich unwillkürlich mit beiden Händen an das glatt gebürstete und zum Chignon geschlungene Haar. »Nein, nichts dergleichen.
Warum wollen Sie …«
Gützlow ließ sie nicht zu Ende sprechen. »Haben Sie in letzter Zeit Magenschmerzen oder andere Beschwerden gehabt?«
Louise wurde blass, und ein ängstlicher Ausdruck trat in ihre Augen. Sie schwieg.
»Frau Paquin?«, fragte der Beamte.
Sie zögerte, bevor sie anfing zu erzählen, ganz so, als gäbe es keine Krankheit, solange man nicht darüber spricht.
»Dr. Thurner sagt, es sei eine Magenentzündung. Dazu kommt es oft, wenn man sich ärgert oder in Spannung lebt, und das ist leider
der Fall. Ich bin sehr unglücklich darüber, dass Raouls Verwandte im Löwenhaus wohnen, aber ich kann sie nicht hinauswerfen,
wenn ich nicht hartherzig sein will. Mir ist dauernd übel, ich mag nichts essen, und wenn ich mich doch dazu zwinge, kommt
es wieder hoch. Ich habe auch schon Blut und Galle erbrochen.« Sie streckte Gützlow eine ihrer zarten Hände entgegen, als
wollte sie sich an ihm festklammern. »Warum fragen Sie mich danach? Stimmt etwas nicht?«
»Das kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen. Aber ich möchte ganz sichergehen, dass Sie nicht …«
»… vergiftet werden wie Raoul?« Sie stieß die Worte hervor, als würgte sie jedes Einzelne in der Kehle. »Das denken Sie doch,
oder? Gift! Mein Gott!« Blass wie Pergament sank sie aufs Sofa nieder und presste eines der Kissen gegen die Brust. »Sagen
Sie mir, was geschehen ist. Sagen Sie es mir!«
Gützlow sah ein, dass er sie mit beschwichtigenden Worten nur noch mehr aufregen würde, also erzählte er ihr von dem verdächtigen
Haarausfall des Barons und seiner Überzeugung, dass auch auf Raoul Paquin ein gezielter Mordanschlag verübt worden war. Louise
zitterte am ganzen Körper. Er bemühte sich vergeblich, sie zu beruhigen, ihr klarzumachen, dass es sich vorderhand nur um
einen Verdacht handelte. Sie brach in bittere Tränen aus.
Gützlow, ein ewiger Junggeselle, war nicht sehr geschickt im Umgang mit weinenden Frauen, und deshalb war er erleichtert,
als eine junge Dame in der Tür erschien. Sie rief mit heller, atemloser Stimme aus: »Louise, schau, was ich dir mitgebracht … For heaven’s sake! Was ist geschehen? Warum weinst du?« Dabei warf sie Gützlow
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