Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
beiden Männer, und er fand bei allem Bemühen niemanden, der ein handfestes Motiv
gehabt hätte, alle beide umzubringen. Auch Gützlow, der kurz darauf erschien, konnte nichts zur Lösung des Rätsels beitragen.
Sie waren noch mitten in ihren fruchtlosen Überlegungen, als der Posten im Vorzimmer einen Besucher meldete.
»Da ist ein geistlicher Herr, der Sie sprechen möchte, Herr Polizeirat. Ein Abbé Maxiant. Er sagt, er habe eine wichtige Aussage
zum Fall Paquin zu machen.«
»Bitten Sie ihn herein.«
Der bejahrte Geistliche, der ins Amtszimmer trat, hatte etwas von einer Elfenbeinfigur an sich. Er war von filigraner Gestalt
und hatte ein spitzes gelbliches Gesicht, in dem kluge graue Augen leuchteten. Er sah bedrückt aus.
Heidegast, der noch aus seiner längst vergangenen Zeit als Klosterschüler großen Respekt vor Geistlichen hatte, begrüßte ihn
mit ausgesuchter Höflichkeit, bot ihm Platz an und fragte dann nach seinem Begehren.
Abbé Maxiant seufzte tief. Er förderte mit zwei Fingern eine Schnupftabakdose aus den geheimnisvollen Tiefen seiner Soutane,
klappte den Deckel auf, streute eine Prise Tabak auf seinen Handrücken, schnupfte ihn und nieste. Erst nachdem er die Dose
wieder verstaut hatte, kam er zu seinem Anliegen.
»Ich bin eben erst nach Hamburg gekommen, um im Haus meines verstorbenen Freundes mein Kinderheim einzurichten, und habe zum
ersten Mal Näheres über seinen Tod gehört – dass nun der Verdacht aufgetaucht ist, er sei ermordet worden! Es ist mir sehr
unangenehm, Herr Polizeirat, undGott verzeihe mir, wenn ich jemandem Unrecht tue, aber ich bin es meiner langjährigen Freundschaft zu Raoul Paquin schuldig,
Ihnen diesen Hinweis zu geben. Ein wenig Schuld rechne ich nämlich mir selbst an … Vielleicht hätte ich misstrauischer sein sollen. Aber damals erschien sie mir als eine ungerecht Verfolgte.«
Gützlow, der hinter dem Rücken des Gastes saß, schnitt angesichts dieser Weitschweifigkeit eine Grimasse, aber der Kommissär
ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er fragte freundlich und geduldig nach, bis er den roten Faden in den verworrenen Äußerungen
des Pfarrers gefunden hatte.
»Sehen Sie«, sagte dieser, »ich bin, genau wie Herr Paquin es war, ein Emigrant aus Frankreich. Auf diese Weise lernten wir
uns kennen. Wir fanden einander sympathisch und wurden Freunde. Als er mir eines Tages erzählte, wie sehr er die französische
Küche vermisse, nannte ich ihm den Namen einer Köchin aus Straßburg, die die deutsche und französische Küche gleichermaßen
beherrschte. Er nahm sie zur Probe auf und war entzückt. Nun hätte ich ihm eigentlich etwas erzählen müssen, aber es erschien
mir so ungerecht, und die Geschichte war ja längst abgetan …«
Erneut verlor er sich in seinen Erzählungen in einem Dickicht, aus dem der Kommissär ihn nur mühsam wieder herauslocken konnte.
Dann fuhr er fort: »Frau Stokhamer war Hauptangeklagte in einem Prozess gewesen, der in Straßburg großes Aufsehen erregte
– in einem Maße, dass sie beschloss, nach Deutschland zu gehen, obwohl sie in aller Form freigesprochen worden war.«
»Worum ging es bei diesem Prozess?«
»Sie diente als Köchin bei einer wohlhabenden Familie namens Corbière. Eines Tages erkrankte der gesamte Haushaltnach dem Genuss einer Pilzpastete, und wenige Tage später waren alle tot – bis auf die Köchin. Natürlich wurde sie verhaftet.
Man stellte fest, dass sich in der Pastete Knollenblätterpilze befunden hatten. Wer sonst sollte die hineingemischt haben
als die Köchin, die als Einzige gesund geblieben war? Dazu kam, dass Frau Stokhamer eine Person ist, die sich nicht leicht
Freunde macht. Sie ist abweisend, streitsüchtig und auf eine wenig ansprechende Weise religiös. Den Umstand, dass es bei der
Familie Corbière nicht immer vorbildlich christlich zuging, nahm sie zum Anlass, mit der Strafe Gottes zu drohen – und als
dann das Unglück geschah, verkündete sie lauthals, den Sündern sei nur recht geschehen. Sie können sich vorstellen, Monsieur
le Commissaire, dass diese Umstände vor Gericht nicht eben für sie sprachen.«
»Warum wurde sie nicht verurteilt?«
»Sie berief sich darauf, dass sie die verhängnisvolle Pastete überhaupt nicht zubereitet hätte. Die Schwägerin – die auch
daran starb – hätte sie mitgebracht.«
»Erschien diese Aussage glaubwürdig?«
»Ja, durchaus. Ihr Anwalt fand Zeugen dafür, dass die Schwägerin
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