Die Frau des Diplomaten (German Edition)
notiere. Anschließend wähle ich die Nummer, doch bevor die Verbindung zustande kommen kann, lege ich schnell wieder auf. Was soll ich auch sagen? Wenn ich Paul anrufe, mache ich alles nur noch komplizierter. Aber er klang so aufgewühlt, und den Gedanken, dass er traurig oder gar wütend sein könnte, ertrage ich nicht. Erneut beginne ich zu wählen.
Plötzlich höre ich ein Geräusch hinter mir. Erschrocken fahre ich herum. Delia steht hinter mir. „Du hast mich erschreckt“, murmele ich und lege den Hörer auf die Gabel.
„Wieder ein Anrufer, der sich nicht gemeldet hat?“
„Ja“, lüge ich und fühle mich prompt schuldig. Klammheimlich stecke ich den Zettel mit der Telefonnummer in die Tasche meines Kleides. „Ich wollte eben bei der Vermittlung nachfragen.“
Delia äußert sich nicht dazu, sondern geht in die Küche und setzt den Wasserkessel auf. Ich folge ihr und beobachte schweigend, wie sie den Ofen öffnet und etwas von dem Bratensaft über das Fleisch gießt. „Rachel ist sofort eingeschlafen“, erzählt sie mir. „Eigentlich sind ihr die Augen schon beim Baden zugefallen.“
„Sie war wohl richtig müde“, sage ich und setze mich an den Küchentisch.
„Noch etwas Tee?“, fragt Delia, aber ich schüttele den Kopf. Ich komme noch immer nicht über Pauls Anruf hinweg, und plötzlich breche ich ohne jede Vorwarnung in Tränen aus. „Was ist los, meine Liebe?“, fragt Delia erschrocken. Sie kommt um den Tisch herum und setzt sich zu mir. „Stimmt etwas nicht?“
„Tut mir leid“, entgegne ich schluchzend.
„Na, komm.“ Sie streichelt meine Hand. „Du hast eine Menge durchgemacht, und das holt dich jetzt ein.“
Verwundert sehe ich sie an. Wie viel weiß sie tatsächlich? Ich überlege, ob ich ihr erzählen soll, dass es so aufreibend für mich war, mich um Simons Tante zu kümmern. Doch dann wird mir klar, dass ich ihr nicht länger etwas vormachen kann. „Delia, ich muss dir etwas sagen. Als ich nicht zu Hause war, da habe ich mich nicht um …“
Sie hebt eine Hand und unterbricht mich. „Ich weiß.“
„Tatsächlich?“
Sie nickt verständnisvoll. „Simon kann nicht besonders überzeugend lügen.“
„Es tut mir leid, dass ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe. Es war ein Regierungsauftrag.“
„Meine Liebe, darüber musst du mir gar nichts erzählen.“
„Jedenfalls … als ich unterwegs war, da traf ich …“ Ich zögere und betrachte forschend ihr Gesicht. Ich weiß, ich sollte jetzt besser aufhören. Aber ich muss jemandem erzählen, was sich in Prag und Berlin ereignet hat, weil ich sonst das Gefühl bekomme, dass es nie geschehen ist. Außerdem war Delia für mich da, als ich Paul das erste Mal verlor. „Erinnerst du dich an den amerikanischen Soldaten, den ich heiraten wollte?“
„Natürlich.“
„Er lebt noch“, platze ich heraus.
Delia sieht mich mit großen Augen an. „Ich verstehe nicht.“ In wenigen Worten berichte ich ihr, wie Paul den Absturz überlebte, mir nach Prag folgte und mir ein zweites Mal das Leben rettete. Als ich ihre ungläubige Miene sehe, wird mir klar, wie unwahrscheinlich das alles klingen muss.
„Oh, du meine Güte!“ Gerührt schlägt sie die Hand vor den Mund. „Das ist ja wirklich außergewöhnlich. Wo ist er jetzt?“
„Auf einer US-Militärbasis. Die Anrufe waren keine anonymen Anrufe.“
„Ich verstehe.“ Nun mustert sie mich aufmerksam. „Und er empfindet immer noch etwas für dich?“ Ich nicke. „Und du?“
„Ich bin verheiratet“, sage ich nach kurzem Zögern.
„Ja, und du hast eine Tochter …“ Plötzlich gerät sie ins Stocken und beginnt zu grübeln. „Rachel kam zu früh zur Welt. Es sei denn …“
„Du hast recht. Eigentlich kam sie gar nicht zu früh“, bestätige ich ihre Vermutung. „Ich konnte es dir nicht sagen.“
„Das verstehe ich“, beschwichtigt sie mich schnell. „Du musst dich deswegen nicht schämen. Du warst jung und verliebt.“ Ich beiße mir auf die Lippen. Ich bringe es nicht fertig, ihr auch noch anzuvertrauen, was sich erneut zwischen Paul und mir abgespielt hat. „Weiß Paul, dass Rachel seine Tochter ist?“
„Ich weiß nicht. Als ich es ihm erzählte, hatte er hohes Fieber.“
Delia schaut aus dem Fenster. „Du hast mich nie gefragt, warum ich nicht verheiratet war und warum ich keine Kinder habe“, sagt sie leise und hebt abwehrend die Hand, als ich darauf antworten will. „Nein, nein, ich weiß schon, du wolltest nicht indiskret sein. Vor vielen
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