Die Frau des Diplomaten (German Edition)
mit den Kinderwagen saßen. Vielleicht kann ich in Paris bleiben und mir eine Arbeit suchen. Ich könnte auch Kinder hüten oder putzen oder in einem Restaurant arbeiten. Aber ich habe keine Ahnung, ob das überhaupt geht, wenn man kein Visum für dieses Land besitzt und kaum ein Wort Französisch spricht.
Ich stecke die Papiere wieder ein. Was sich in der Tasche befindet – das zweite Kleid, Unterwäsche, ein paar Münzen und die Dokumente –, ist alles, was ich habe. Nichts zu essen, kein Dach über dem Kopf. Ich sehe zur Kirche. Vielleicht kann man mir dort helfen. Nein, sehe ich sogleich ein. Der Mann konnte mir schon letzte Nacht nicht mehr bieten als eine Decke, und ich kann nicht jede Nacht vor der Kirche schlafen.
Mir fällt das Rote Kreuz wieder ein. Wenn ich es zum Roten Kreuz schaffe, wird man mir vielleicht Essen geben und eine Unterkunft vermitteln. Vielleicht können sie sogar Dava von meiner Situation in Kenntnis setzen. Die beiden Frauen hatten die amerikanische Botschaft erwähnt. Als ich mich umdrehe, sehe ich auf dem großen Gebäude die US-Flagge wehen. Mir fällt ein, dass Paul genau diese Flagge auf dem Ärmel seiner Uniform trug. Die Erinnerung versetzt mir einen Stich ins Herz.
Ich stehe auf, verlasse den Park und wechsle die Straßenseite. Mein Weg führt mich erneut an der britischen Botschaft vorbei, diesmal passiere ich die Warteschlange mit hoch erhobenem Haupt. Trauer und Wut regen sich in mir. Wäre es denn wirklich so schlimm gewesen, wenn diese Frau am Schalter einmal ein Auge zugedrückt hätte?
Als ich das Wachhäuschen der amerikanischen Botschaft erreiche, empfängt mich der Wachmann mit bedauerndem Kopfschütteln. „Das Konsulat ist geschlossen, Miss.“
Ich schlucke nervös. „Ich … ich wollte nur wissen, wo ich hier das Rote Kreuz finden kann.“
Der Mann überlegt. „Keine Ahnung, Miss. Sergeant Smith weiß es vielleicht, aber der hat bereits Dienstschluss.“ Ich werde mutlos. „Fragen Sie mal im Servicemen’s Hotel nach. Gleich um die Ecke.“
„Im Servicemen’s Hotel“, wiederhole ich. „Vielen Dank.“ Ich folge der angegebenen Richtung und stoße tatsächlich auf ein großes, von der Straße zurückgesetztes Gebäude. U.S. Armed Servicemen’s Hotel steht auf einem Schild vor dem Haus. Soldaten stehen in kleinen Gruppen davor, sie unterhalten sich und rauchen Zigaretten. Beim Anblick ihrer dunklen Uniformen und ihrer Frisuren muss ich unwillkürlich an Paul denken. Plötzlich erinnere ich mich daran, wie einer der Soldaten von Paris gesprochen hat. In meiner Panik um das Visum war mir das völlig entfallen. Könnte Paul auch hier sein? Nun, er war vor zwei Tagen noch in Salzburg, und wenn ich mir vorstelle, wie langsam diese Laster vom Schlossgelände gefahren sind, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass er schon hier ist.
Konzentriere dich auf deinen Plan!, ermahne ich mich, atme tief durch und gehe auf den Hoteleingang zu. Dabei spüre ich, wie mir die Blicke der Soldaten folgen. Drinnen halte ich für einen Moment inne. Die Lobby ist ganz von Sonnenlicht erhellt, das durch die Fenster fällt, die Luft wirkt vom vielen Zigarettenqualm getrübt. Laute Stimmen und Musik schallen von einer Theke im hinteren Bereich herüber. Ich gehe zum Empfang, der sich neben dem Eingang befindet. „Wie kann ich Ihnen helfen, Miss?“
„Können Sie mir sagen, ob das Rote Kreuz in Paris Notquartiere zur Verfügung stellt?“
Der Mann am Empfang kratzt sich nachdenklich am Kopf. „Ich glaube schon. Lassen Sie mich überlegen.“ Er zieht ein großes dickes Buch aus dem Regal hinter dem Tresen und beginnt zu blättern. „Ja, da haben wir es schon. Rotes Kreuz. Nächstes Notquartier ist … Saint Denis du Saint Sacrement in Marais. Das ist eine Kirche. Sie gehen an der Ecke nach links, dann nehmen Sie den Bus Linie fünf … warten Sie, ich schreibe es Ihnen auf.“ Er nimmt einen Block zur Hand und notiert etwas, das ich schlecht entziffern kann, dann reicht er mir den Zettel.
„Vielen Dank.“ Ich will eben gehen, da kommt mir wieder Paul in den Sinn. Ganz ruhig, sage ich mir. Selbst wenn Paul in Paris ist, gibt es keinen Grund, warum er ausgerechnet in diesem Hotel sein sollte. Tausende Soldaten sind in der Stadt, und er könnte wer weiß wo sein. Dennoch drehe ich mich noch einmal um. „Verzeihen Sie, aber ich habe noch eine Frage“, erkläre ich zögerlich. „Ich suche nach einem Soldaten namens Paul. Paul Mattison.“
Der Portier sieht in einem Buch
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