Die Frau des Germanen
kräftige. Sie flogen voran, ihr
heiseres Krächzen klang wie eine Warnung. Dann folgten einige Vogelstriche, schließlich wurde die Sonne verdunkelt von den
Schwärmen.
Als der erste sich auf einem Baumwipfel niederließ, stand das Rauschen über den Wäldern wie ein Sturm, der in den Wolken Kraft
sucht, bevor er hinabfährt. Ein gewaltiges Brausen war es, das jedes andere Geräusch verschluckte. Ein riesiger Schatten,
der die Sonne verdunkelte. Doch dann wurde aus der zusammengeballten Masse eine Masse aus Millionen von Vögeln. Einige flatterten
hinab, dann immer mehr, ließen sich in den Baumkronen nieder, wurden von den folgenden auf die Zweige und Äste hinabgedrängt
– und dann begann das Warten. Darauf, dass das Stöhnen und Wimmern ein Ende hatte. Darauf, dass das Blut zu fließen aufhörte.
Darauf, dass die Toten ihre Ruhe fanden. Viele Tote, Tausende, Zigtausende. Erstochen, erschlagen, durchbohrt, enthauptet.
Manchmal waren die Köpfe so sauber vom Rumpf getrennt worden, dass der Schnitt kaum zu erkennen war. Nur das Blut, das ihn
besudelte, zeigte an, was geschehen war. Andere Köpfe waren davon gerollt, einen Abhang hinab, in eine Grube oder ein Wasserloch.
Manche Leichen lagen aufeinander, mit einem einzigen Schwert durchbohrt, das noch in den Körpern steckte, andere waren übereinandergefallen,
weil sie sich im Augenblick des Todes zusammengedrängt hatten. Einige lagen neben ihren verendeten Pferden. Es gab sogar Tote,
die mit dem Schwert an Baumstämme genagelt worden waren, als hätte der Hass selbst sich an ihnen vergangen.
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Zu ihren Füßen lagen zerbrochene Waffen. Alle Schwerter, Säbel und Dolche, die den Kampf überstanden hatten, waren in die
Hände der Sieger gefallen.
Dann flogen die ersten Vögel dem Geruch entgegen, der von der Erde aufstieg. Eine Hand zuckte hoch, schwer und blutverkrustet.
Ein kurzes Abwehren, ein letztes Erschrecken, dass der Tod die Gestalt eines Vogels angenommen hatte. Ein flatterndes Augenlid,
ein zuckender Mundwinkel, die stumme Bitte, ein Ende zu machen.
Lange hielten die Vögel sich in diesem Wald auf. Und im nächsten und übernächsten Wald, in den Sümpfen dazwischen, in den
morastigen Ebenen, im Schlamm, in dem die Getöteten noch bis zu den Knien steckten. Als die ersten Vögel wieder aufflatterten,
wetzten sie sich an den Bäumen die Schnäbel, bevor sie sich zurück in den Himmel schwangen. Andere blieben, viele verließen
den Ort erst, als es nichts mehr gab als bleckende Schädel und bleiche Knochen und der Geruch allmählich erträglicher wurde.
Der letzte Schwarm blieb sehr lange. Große schwarze Vögel, die immer größer zu werden schienen, je erbärmlicher ihre Opfer
wurden. Sie wollten sich nicht zufriedengeben, staksten von einem Gerippe zum nächsten, pickten in leere Augenhöhlen, lösten
Fingerknöchel und trugen sie fort, suchten Haarbüschel zusammen und stopften sie in einen Helm. In einen der wenigen, die
zurückgeblieben waren. Alles andere, was einen Wert besessen hatte, war mitgenommen worden. Die Vögel hatten nur noch das
geplündert, was niemand wollte. Die Reste des Lebens …
16.
C laudia Pulchra war einmal eine große Frau mit einem ungewöhnlich hellen Teint und kleinen schwarzen Augen gewesen, die aus
ihrem Gesicht stachen, die ihr Gegenüber nicht anblickten, sondern anzugreifen schienen. Damals hatte sie noch hoffnungsvoll
in die Zukunft geblickt. Nun jedoch blitzten ihre Augen meist nicht mehr herausfordernd, sie waren müde und gleichgültig geworden.
Sogar heller und durchsichtiger erschienen sie, während ihre Gesichtshaut dunkel geworden war, als setzte sie sich zu stark
der Sonne aus. In den letzten vier Jahren hatte sie überdies stark an Gewicht zugenommen, war unbeweglich geworden, schwitzte
leicht und klagte viel. Kurz – aus ihr war eine Matrone geworden, die Severina niemals zu werden hoffte, auch nicht, wenn
sie in Claudias Alter sein würde.
Sie hätte sich am liebsten unbemerkt wieder zurückgezogen, als sie merkte, dass Varus’ Witwe bei Agrippina zu Besuch war.
Und es wäre ihr vermutlich gelungen, wenn sie nicht den Fehler gemacht hätte, in der Tür stehen zu bleiben und Claudia eine
Weile zu betrachten. Sie war eine Verwandte, die Großnichte des Kaisers, der sie Varus zur Frau gegeben hatte, nachdem der
ihn mehrmals auf seinen Orientreisen begleitet hatte. Augustus hatte einen Narren an dem jungen Varus gefressen. Ob seine
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