Die Frau des Germanen
alles, was dort lebte, den Atem an. Die Geräusche
aus dem Stall schienen leiser zu sein als sonst, die Kinder lärmten nicht, das geschäftige Klappern der Gerätschaften war
nicht zu hören, keine Gespräche, kein Lachen, kein Fluchen. Das Rad, welches das Leben auf der Teutoburg antrieb, war stehen
geblieben. Es würde sich erst wieder in Bewegung setzen, wenn das Schicksal über die Burg und ihre Bewohner entschieden hatte.
Jeder wusste es, niemand sprach es aus. Die Knechte standen mit gesenkten Köpfen da, als wollten sie nicht sehen, wie ihr
Herr mit seinem besten Freund sich auf den Weg machte, die |262| Mägde drückten ihre Kinder an sich und wischten sich die Tränen aus den Augen.
Trotz des schweren Moments genoss Inaja ihre herausragende Stellung. Sie stand nicht neben den anderen Mägden, sondern neben
Thusnelda, Thordis und Wiete. Sie gehörte zur Familie des Fürsten. In der Bedeutung dieses Augenblicks gelang es ihr sogar,
Hermut ein Lächeln zu schenken, das ihm Mut machen sollte, und es fiel ihr nicht einmal schwer.
Thusnelda weinte herzzerreißend, kaum dass die Männer sich entfernt hatten und sie sich nicht mehr zu sorgen brauchte, dass
Arminius ihre Tränen sehen könnte. Inaja trat an ihre Seite und hätte den Arm um sie gelegt, wenn da nicht Thordis’ strenger
Blick gewesen wäre. Sie schätzte keine Vertraulichkeiten zwischen Gesinde und Herrschaft. Ein ums andere Mal wies sie Inaja
in ihre Schranken, wenn sie sich etwas herausnahm, was ihr nicht zustand.
Sie konnten beobachten, wie Arminius und Hermut sich nach mehreren hundert Schritten trennten. Arminius wandte sich mit einer
kleinen berittenen Einheit von rund zwanzig Männern Varus’ Sommerlager zu, wo sich die Legionen formierten, Hermut ritt mit
zwei Begleitern in die entgegengesetzte Richtung, um zu dem kleinen germanischen Heer zu gelangen, das er befehligen würde,
bis Arminius zu ihm gestoßen war.
Inaja konnte nicht den Blick von Hermuts Gestalt nehmen, die immer kleiner wurde und sich in der Nähe des Waldes aufzulösen
schien, während Arminius an der Spitze seiner Truppe noch lange vor dem hellen Himmel zu erkennen war. So hatte sie auch Flavus
nachgeblickt, als er sich das letzte Mal von der Teutoburg trennte. Wenn es auch jetzt irgendwo einen Schmerz gäbe, der ihr
zeigte, wie groß Hermuts Liebe war, wenn es eine Stelle an ihrem Körper gäbe, die nicht berührt werden dürfte, weil der Schmerz
dann unerträglich würde, wenn Hermuts Liebe so wie Flavus’ Liebe sie gezeichnet hätte, dann wäre sie schon jetzt voller Sehnsucht.
Aber Hermuts Liebe war auch diesmal weich, lau und ohne Wirkung gewesen. Zärtlichkeit |263| nannte er sie, Inaja nannte sie Kraftlosigkeit. Wenn auch Thusnelda diese Liebe von Arminius bekommen hatte, verstand Inaja
nicht, warum sie so heftig weinte. Nein, darum beneidete Inaja ihre Herrin nicht, wohl aber um ihre Tränen, die sie nicht
zu verstecken brauchte.
Sie war die Erste, die sich umwandte, um zum Haus zurückzugehen. So war sie auch die Erste, die sah, dass über der Burg ein
Unwetter aufzog. Aus dem frischen Wind wurde schnell ein heftiger Sturm, der die Bäume neigte und alles davontrug, was nicht
festgebunden war. Kurz darauf fegten Hagelschauer übers Land, der Himmel öffnete sich, es begann zu regnen. Bald schon standen
die Wiesen unter Wasser, die Wege verwandelten sich in morastige Pfade, die sie bald den grün überwachsenen Sümpfen gleichmachen
würden. Tödliche Fallen! Nur wer sich auskannte, würde es schaffen, auf dem Wege zu bleiben. Die Wälder waren bereits zu einem
großen Teil entlaubt, ihre Böden ungeschützt dem Regen ausgeliefert. Die heruntergefallenen Blätter verbanden sich mit Nässe
und Moos zu tückischer Schlüpfrigkeit.
Sie blieb in der Tür des Hauses stehen und sah in den dichten Regen hinaus. Senkrecht fiel er in diesem Augenblick zu Boden,
aber schon im nächsten wurde er vom Wind gegen die Hauswand geworfen.
Inaja zog ihr Tuch enger um den Körper. »Arminius und Hermut können einem leid tun«, sagte sie, als sie fühlte, dass Thusnelda
neben sie trat.
»Die Römer können einem leid tun«, korrigierte Thusnelda. »Das ist genau das Wetter, das Arminius sich gewünscht hat. Die
Römer werden mitten in ihrem Kampf gegen Sturm und Regen stecken, wenn sie angegriffen werden.«
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A m vierten Tag hörte der Regen auf, am fünften kamen die Vögel. Zunächst nur einige große,
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