Die Frau des Polizisten
Nach einem Moment sah er mit feuchten, rotgeränderten Augen wieder zu Erika hoch.
»Du weißt, wo du mich finden kannst«, sagte Göran mit zitternder Stimme. »Und du musst dich nicht schämen für das, was du getan hast. Alles wird wieder in Ordnung kommen, du wirst schon sehen.«
Göran verabschiedete sich von Torbjörn und Per und ging zum Aufzug. Erika schlug die Hand vor den Mund und starrte die Fahrstuhltür an, die sich hinter ihm schloss, nicht in der Lage, den Blick von ihr zu wenden. Sie spürte die fragenden Blicke der Kollegen in ihrem Rücken, schaffte es aber nicht, ihnen zu begegnen. Gegen die Tränen ankämpfend blieb sie stehen, ihr war schwindelig und übel. Kurz darauf war sie allein im Flur.
Kapitel 19
Erika griff nach der Landkarte. Allmählich erschloss sich ihr die Küstengegend, in der Barbro wohnte. Per fuhr über die Älvsborgsbron, die von Hisingen zurück aufs Festland führte. Die Aussicht, die sich von der Brücke auf die Stadt, aber vor allem zur Hafeneinfahrt bot, machte sie schwindelig. Endlich einmal regnete es nicht. Hochaufgetürmte schwarze, blaue und leicht orangefarbene Wolken zogen am Himmel. Die Sonne fand ein Schlupfloch, und eindrucksvoll ergossen sich ihre Strahlen auf das Meer.
Per wechselte routiniert die Spuren. Als sie mehrere Einfamilien- und Reihenhausgegenden passiert hatten, bog er plötzlich nach links Richtung Meer ab.
»Wir müssen nach Näset«, sagte er mit einem Lächeln. »Interessant, diese Sache mit dem ›auf‹ oder ›in‹ wohnen, oder? Die Bewohner von Näset sagen, dass sie auf Näset wohnen – was ja auch logisch ist, da es sich um eine Halbinsel handelt –, und die, die nicht hier leben, sagen in und verärgern damit die Inselbewohner.« Er grinste fröhlich, dann erlosch sein Lächeln.
»Erika … verzeih, falls ich indiskret bin, … aber was zum Henker war das da im Polizeigebäude? Das war dein Mann, oder?«
Erika nickte. Ihr Ehemann – so war es. Erika schloss die Augen, um Pers durchdringendem Blick zu entgehen.
»Ich habe Göran verlassen«, presste sie kaum hörbar hervor, räusperte sich und versuchte, ihrer Stimme mehr Nachdruck zu verleihen.
»Bin vor ihm geflohen, wenn du so willst. Ich bin nichtstolz darauf, aber ich habe keine andere Möglichkeit gesehen, es zu beenden.«
Per musterte sie eindringlich, wandte nach einer Weile aber den Blick ab und starrte kommentarlos durch die Windschutzscheibe.
Erika schluckte alles hinunter, was heraus wollte, all die Worte der Verteidigung und Erklärungen, dass Göran weder traurig, verletzt noch am Boden zerstört war. Dass er ein eiskalter Psychopath war, der sie schlug und demütigte, sie mit wenigen Worten, kleinen Gesten und einem Blick, der so tödlich wie eine geschärfte Waffe war, gefügig machte. Dass alles, was sich auf dem Korridor zugetragen hatte, ein ausgekochtes Spiel, ja, Theater war, das er von klein auf bravourös beherrschte. Und dass sein Mangel an Mitgefühl und Empathie ihn zum eiskalten Lügner machte, der weder Reue noch Scham kannte.
Stattdessen sah sie auf ihre Notizen und die Karte auf ihrem Schoß hinunter. Sie und Per waren dem ersten von zwei ernstzunehmenden Hinweisen aus der Bevölkerung nachgegangen und hatten einer jungen Familie mit zwei kleinen Kindern, die auf einem alten Sommerhausgrundstück auf Näset bauten, einen Besuch abgestattet. Der Ehemann sollte bei einem abendlichen Empfang in betrunkenem Zustand seiner Frustration über die Hindernisse, die ihnen in den Weg gelegt worden waren, freien Lauf gelassen haben. Sie hatten den jungen Mann auf seiner Arbeitsstelle auf Hisingen aufgesucht. Und er war wütend gewesen, mit Recht, wie sich herausgestellt hatte.
Wie alle anderen, mit denen sie bisher gesprochen hatten, berichtete er von langen Bearbeitungszeiten, nicht eingehaltenen Versprechungen, Terminen, die Barbro hatte platzen lassen, und dass ihnen die Zeit davongelaufen war und jederTag Geld gekostet hatte. Er gab bereitwillig zu, dass er sowohl die Stimme gegen sie erhoben als auch geflucht und sie verwünscht, ja, ihr auch gedroht hatte – nicht mit körperlicher Gewalt, sondern damit, sie anzuzeigen und gerichtlich wegen Amtsmissbrauchs gegen sie vorzugehen und sich an den Ombudsmann des Parlaments zu wenden. Aber mehr auch nicht. Er erläuterte in einfachen Worten, wie es war – dass nur die wenigsten die Kraft besäßen, weiterzugehen und ihren Vergeltungen und Drohungen Taten folgen zu lassen, nachdem sich die erste
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