Die Frau des Praesidenten - Roman
gegen Liebe, eine Freundin gegeneinen Ehemann. Würden sich nicht die meisten Menschen auf diesen Handel einlassen? War er etwa nicht vernünftig? Ich wäre nicht länger die angeblich verschrobene, angeblich bedauernswerte unverheiratete Frau; meine Existenz würde keine Frage mehr aufwerfen, zu deren möglicher Beantwortung sich andere Menschen gezwungen fühlten.
Doch was mich erstaunte, war, dass ich einen Mann heiraten würde, den ich liebte. Bloße Erleichterung hätte mir womöglich auch eine Heirat mit Wade Trommler 1967 oder später mit einem anderen Mann verschafft. Nun aber sollte ich viel mehr bekommen. Charlie war charmant, witzig, lebendig und unglaublich attraktiv – die hellbraunen Härchen auf der Oberseite seiner Handgelenke, seine schicken Hemden, sein Grinsen, seine Ausstrahlung. Ich hatte einunddreißig Jahre gewartet, mich manchmal wie die Letzte meiner Art gefühlt, und nun hatte ich jemanden gefunden, jemanden, der vielleicht nicht perfekt war, aber perfekt genug, perfekt für mich. Ich sollte trotz allem nicht bestraft werden. Ich sollte belohnt werden, wofür, wusste ich allerdings nicht zu sagen.
Sechs Wochen waren seit unserer ersten Begegnung vergangen.
Am Mittwoch und Donnerstag vor dem Labor-Day-Wochenende fanden die Lehrerkonferenzen statt, und wir Lehrer waren nicht anders als Highschool-Schüler: Nachdem wir uns mehrere Monate nicht gesehen hatten, beschnüffelten wir einander, tauschten Ferienerlebnisse aus, begutachteten mögliche Gewichtsveränderungen. Während der Willkommensansprache der Direktorin in der Turnhalle saß ich zwischen Rita und Maggie Stenta, einer Lehrerin für die erste Klasse, die mich im vergangenen Frühjahr einmal zu sich nach Hause eingeladen hatte. Vorne erklärte Lydia Bianchi gerade den neuen Plan für die Aufsicht bei den Schulbussen, als Rita sich zu mir rüberlehnte und flüsterte: »Wie geht es deinem
Freund
?«
»Triffst du dich mit jemandem?«, schaltete sich Maggie sofort ein.
Kopfschüttelnd tat ich so, als würde ich sie nicht verstehenoder sei zu interessiert an dem, was Lydia sagte. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, wie ich über Charlie sprechen sollte; ich wollte nicht schwärmen oder prahlen. Unsere Verlobung lag nun drei Tage zurück, und wir hatten noch niemandem davon erzählt. Wir wollten es zuerst unseren Familien sagen, und da wir das Labor-Day-Wochenende bei den Blackwells in Door County verbringen und am Wochenende darauf nach Riley fahren würden, hatten wir entschieden, alle persönlich damit zu überraschen. Wie die Blackwells allerdings darauf reagieren würden, mich kennenzulernen und im gleichen Moment zu erfahren, dass ich demnächst in ihre Familie einheiraten würde, wagte ich mir nicht vorzustellen.
Es war Pflicht, dass sich alle Lehrer zu Beginn des Schuljahres den immer gleichen halbstündigen Film über Kopfläuse ansahen – dies geschah nicht ohne Murren, ich persönlich sah ihn zum sechsten Mal –, und er wurde am Donnerstag nach dem Mittagessen in der Bücherei gezeigt. Ich kam gerade mit Rita von der Cafeteria, war noch auf dem Flur, als ich beobachtete, wie sich Steve Engel, ein fast zwei Meter großer Mathematiklehrer, den Kopf an dem
Paddler-auf-großer-Fahrt -Kanu
stieß, das über dem Eingang zur Bibliothek hing. »Cooles Boot«, sagte er zu niemand Bestimmtem.
Nach einigem Hin und Her hatte ich für alle Pappmaché-Figuren den richtigen Platz gefunden: Mutterhase und Babyhase sowie Klas und sein Dampfbagger Karoline thronten auf den unteren Regalbrettern, in denen die Kinderbücher für die Jüngsten standen; Ferdinand stand Wache an der Kartei; der Freundliche Baum erhielt einen Ehrenplatz auf meinem Schreibtisch. Ich konnte noch immer nicht glauben, dass ich alle Figuren fertigbekommen hatte, vor allem, da Charlie eine willkommene Ablenkung gewesen war. Das gesamte Projekt hatte rund zweihundert Stunden in Anspruch genommen – zugegebenermaßen hatte ich den Großteil geschafft, bevor ich Charlie kennengelernt hatte –, und ich war mir sicher, dass einige Menschen das Ganze für eine riesengroße Zeitverschwendung halten würden.
Als der Film zu Ende war, erklärte Deborah Kuehl, die fürdie Filmvorführung verantwortliche Schulkrankenschwester mit einem Hang zu übertriebener Organisation, ein neues Verfahren zur Vermeidung von Läusebefall. »Ich kann nicht glauben, dass sie das direkt nach dem Essen macht«, murmelte Rita. Deborah war zwar energisch, stand aber gern mit Rat und Tat
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