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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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zu ihm und umarmte ihn. »Hatten Sie und Henrietta einen schönen Sommer?« Ich hatte Big Glenns Frau noch nie gesehen, kannte nur ihren berühmten gestürzten Ananaskuchen, den Big Glenn jedes Jahr im Mai, wenn sich das Schuljahr dem Ende zuneigte, im Lehrerzimmer vorbeibrachte. Für gewöhnlich war von dem Kuchen gegen zwanzig nach acht bereits so gut wie nichts mehr übrig, als handle es sich bei seinem Verzehr um eine Art Wettessen.
    »Auf alle Fälle war es schön ruhig ohne die ganze Rasselbande.« Big Glenn lächelte.
    »Meinen Sie die Lehrer oder die Schüler?« Er lachte, und ich sagte: »Ich wette, Sie haben uns alle vermisst.«
    Er trat einen Schritt nach vorn und senkte die Stimme: »Behalten Sie das bitte für sich, aber ich habe gehört, dass Sandys Mann ernsthaft krank ist.«
    Ich zuckte zusammen. »Schon wieder?« Sandy Borgos unterrichtete die Zweitklässler. Sie war eine freundliche Frau, etwa doppelt so alt wie ich, die während der Lehrerkonferenzen immer strickte und, wann immer möglich, ein selbstgemachtes beigefarbenes Umhängetuch trug. Vor zwei Jahrenwar bei ihrem Mann Kehlkopfkrebs diagnostiziert worden, von dem er sich, soweit ich wusste, erholt hatte.
    »Es liegt nun in Gottes Hand«, sagte Big Glenn. »Haben Sie das von Carolyn gehört?« Big Glenn war, unter anderem, eine außerordentlich gut informierte Quelle für den Schultratsch.
    Ich schüttelte den Kopf. Carolyn Krawiec arbeitete im Kindergarten und war sieben oder acht Jahre jünger als ich; sie war noch nicht lange an der Liess, daher kannte ich sie kaum.
    »Kommt nicht mehr zurück«, sagte Big Glenn. »Hat einen neuen Freund, zu dem sie nach Cedar Rapids, Iowa, zieht.« Bedeutungsvoll zog er die Augenbrauen nach oben – Missfallen wurde niemals offen, sondern stets in Form von kodierten Blicken geäußert.
    »Wow«, sagte ich.
    »Muss die große Liebe sein.« Er klang alles andere als überzeugt, und ich verspürte den Impuls, Carolyn zu verteidigen. Vielleicht
war
es die große Liebe.
    »Wann hat sie es Lydia gesagt?« Lydia Bianchi war unsere fünfundfünfzigjährige Direktorin, die ich sehr mochte. Sie war verheiratet, hatte aber keine Kinder, was ihre Belegschaft – also uns – darüber spekulieren ließ, ob ihre Kinderlosigkeit eine freie Entscheidung oder eine private Enttäuschung war.
    »Erst vor etwa ein, zwei Wochen«, sagte Big Glenn. »Ihr Freund arbeitet im Arzneimittelbereich und kommt regelmäßig nach Madison. Man hätte also überlegen können, die Beziehung so zu führen.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich muss wohl vergessen haben, wie viel Leidenschaft in junger Liebe steckt.«
    »Wurde schon ein Ersatz für sie eingestellt?«
    »Interessiert?«
    »O nein! … Ich bleibe genau da, wo ich bin.« Doch in diesem Moment sagte mir eine innere Stimme, dass genau das Gegenteil passieren würde. Ich würde gehen. Wenn Charlie und ich zusammenblieben, wenn sich die Dinge zwischen uns so weiterentwickelten, wie ich es seit dem Gespräch mit Dena im Imbiss keinem gegenüber, ich eingeschlossen, mehr eingestandenhatte, dann waren meine Tage als Lehrerin vermutlich gezählt.
    Während ich mit Big Glenn dastand und plauderte, spürte ich, wie das Hier und Jetzt davonjagte. Mir wurde klar, dass ich schon bald gehen würde, und wenn ich es tat, würden die anderen Lehrer in meiner Abwesenheit genauso über mich reden.
     
    Es hieß immer, es gäbe keine Tornados in Madison wegen der Seen. Die Stadt ist ein Isthmus, ein Begriff, den hier bereits die Kinder kennen. Und da Wisconsin nicht so häufig von Tornados heimgesucht wurde wie Städte, die in den Staaten südlich und westlich von uns lagen, gab es nur ein paarmal im Jahr eine Sturmwarnung, die vielleicht einmal zu einer Tornadowarnung ausgeweitet wurde, und vielleicht einen richtigen Sturm. Als ich ein Mädchen war, fanden in Riley jedes Frühjahr Tornadoübungen statt. Wenn wir im Klassenzimmer waren, mussten wir hintereinander in den Flur marschieren und uns, alle mit dem Gesicht zur Wand, Knie an Knie im Schneidersitz nebeneinander auf den Boden setzen, die Köpfe nach unten nehmen und schützend die Arme darüberlegen. Waren wir draußen – manchmal fanden die Übungen während der Pause statt, was sich wie eine riesige Verschwendung anfühlte –, wurden wir von einer Lehrerin zu einer Senke auf dem grasbewachsenen Hügel hinter der Grundschule geführt, wo wir uns flach auf den Bauch legen und uns die Hände geben mussten. Das runde Gebilde, das wir

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