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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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gründlich darüber nachgedacht hatte.
    »Vermutlich hast du recht«, sagte ich und vertiefte mich wieder in den
New Yorker
.
    Im Mietauto wechselten wir, bis wir den Campus erreichten, kaum ein Wort. Kurz vorm Ziel meldete sich Ella von der Rückbank: »Ich hab Hunger!«
    Ich drehte mich zu ihr um. »Im Zelt wird es Essen geben, aber bis dahin kannst du die hier haben.« Ich zog eine Plastiktüte mit Salzbrezeln aus meiner Handtasche.
    »Salzbrezeln mag ich nicht.«
    »Seit wann?«
    »Schon immer.«
    »Das ist mir aber neu.«
    Charlie, der am Steuer saß, schaltete sich ein: »Dann hast du ja sicher nichts dagegen, wenn
ich
mir ein paar davon genehmige.« Er streckte den Arm aus, zwängte eine Hand in die Tüte auf meinem Schoß, griff fast alle Brezeln und stopfte sie sich in den Mund. Er machte dicke Backen, verteilte die Krümel über sein Hemd und imitierte mit vollem Mund die Essgeräusche des Krümelmonsters: »Njam, njam, njam.« Ella kicherte, und er grinste sie über den Rückspiegel an. Dann schluckte er und streifte mich mit einem Blick. »Ich hoffe nur, du hattest nicht vor, die für später aufzuheben. Falls doch, gebe ich sie dir nämlich sofort zurück.« Er ließ sich vornüber nach rechts kippen und gab Würggeräusche von sich: »Wuuäääarg.«
    »Das ist so
eklig
!«, kreischte Ella – sie war offensichtlich begeistert von dieser kleinen Vorführung –, und ich sagte: »Würdest du dich bitte auf die Straße konzentrieren?«
    Wir stellten das Auto hinter einem Wohnkomplex ab und machten uns auf den Weg zum Festzelt für das zwanzigste Jahrgangstreffen. Ich hatte Charlie 1978, in unserem ersten Ehejahr, zu seinem zehnten Jahrgangstreffen begleitet und ’83 zum fünfzehnten, da war Ella vier. Meine erste Reaktion auf den Campus war damals wie heute dieselbe gewesen: Das Gelände sah in seiner Perfektion mehr wie eine Filmkulisse als ein echter Campus aus, und ich widerstand seinem Charme, wie man sich den Annäherungsversuchen eines gutaussehenden, charismatischen Mannes auf einer Party entzieht, weil man weiß, dass er mit jeder flirtet.
    Es gab Gebäude aus der Tudorgotik und im ViktorianischenStil, aus Backstein, Quaderstein und Marmor, mit Palladio-Fenstern, Blattornamenten und Kreuzblumen, hier und da von Efeu überwuchert (bis zu meinem ersten Besuch 1978 hatte ich nicht gewusst, dass sich die Bezeichnung Ivy League ganz wörtlich von diesen Pflanzen herleitete). Türme und Türmchen ragten auf, und man wandelte unter Torbögen hindurch, in deren Schatten man die Verheißung der Bildung förmlich riechen konnte. Über die geometrischen Rasenflächen liefen diagonale Fußwege, und an der Stirnseite des Campus lag die Nassau Hall, das erste Gebäude, das man sah, wenn man durch das FitzRandolph Gate trat: ein Sandsteinbau, prachtvoll und erhaben und weitläufig. Zu beiden Seiten der Eingangstreppe hielten bronzene Tiger Wache, deren Fell Zeit und Wetter silbrig grün verfärbt hatten. Und dann gab es noch die Studenten: Seniors kurz vor ihrem Abschluss und andere Jahrgänge – unter ihnen unser Neffe Harry und unsere Nichte Liza –, die dort geblieben waren, um bei der Festorganisation zu helfen. Sie alle wirkten aufgeweckt, sportlich und privilegiert. In Princeton zu sein, kam mir auf ähnliche Weise unfair vor, wie mir unser gesamtes Leben in Milwaukee manchmal unfair erschien, wenn auch zu unserem eigenen Vorteil. Ich sah, wie Ella die Neunzehn- und Zwanzigjährigen beobachtete, und wusste, dass sie ihr Bild davon prägen würden, was es bedeutete, College-Studentin zu sein, obwohl diese jungen Leute in Wirklichkeit für die größere Masse ungefähr so repräsentativ waren wie ein Vollblutaraber oder eine Stradivari-Geige.
    Unser Zelt war im Holder Courtyard aufgebaut. Wie all die anderen über den Campus verteilten Jahrgangsfestzelte war es riesig – die weiße Leinwand, die in der Mitte von drei großen Pfählen gestützt wurde, maß ungefähr zehn mal fünfzehn Meter –, und an seinem Eingang standen schwarze hölzerne Schilder, auf die in Orange die Jahrgänge aufgemalt waren, die sich hier trafen: Ganz oben der Jubiläumsjahrgang 1968 und darunter die Jahre 1966, 1967, 1969 und 1970. In dem Zelt hatte eine hölzerne Tanzfläche Platz gefunden, ein Podest, auf dem an den zwei kommenden Abenden die Bands aufspielen würden, ein langer Büfetttisch mit orangefarbenem Tischtuch(dort entdeckte ich ein paar wenig appetitanregende Sandwiches und etwas Gebäck, das mich schon eher

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