Die Frau des Praesidenten - Roman
Amerikanerin, die noch bekannter und sichtbarer ist als ich und noch mehr als Leinwand herhalten muss, auf die alle ihre Träume, Wünsche und Ängste projizieren. Es muss solch eine Last bedeuten, Oprah zu sein, aber sie trägt sie mit Würde. Obwohl ich schon zweimal in ihrer Sendung aufgetreten bin, gehe ich davon aus, dass es zu so einem Gespräch unter vier Augen nicht kommen wird, denn als Demokratin hat sie vermutlich keine besonders hohe Meinung von meinem Ehemann.
So oder so werden warnende Botschaften von dieser Seite der Medaille meist ignoriert; sie werden als Gejammer oder falsche Bescheidenheit abgetan. Wenn die Leute darauf hören würden, würde niemand mehr danach streben, berühmt zu werden, aber sie tun es immer wieder – sie mühen und mühen sich, in der Hoffnung, eines Tages auch über die Bürde ihres Ruhms klagen zu können.
Dann werde ich endlich zufrieden sein
, denken sie und stellen erst fest, wie sehr sie sich darin geirrt haben, wenn sie die Aufmerksamkeit bekommen, nach der sie sich so sehr sehnten.
Aber vielleicht irre ich mich auch. Vielleicht würde es der Mehrzahl der Leute wie Charlie gehen, und sie würden diePrivilegien, die der Ruhm mit sich bringt, genießen, ohne allzu sehr unter den Kosten und Verpflichtungen zu leiden.
Gladys Wycomb lebt jetzt in einer anderen Wohnung, in einem anderen Gebäude, einige Häuserblocks von dem Haus entfernt, in dem ich die letzten Tage des Jahres 1962 und den Jahresbeginn 1963 verbracht habe. Ihr Apartment ist genauso schick wie das alte, nur etwas kleiner. Norene Davis geleitet mich in das Wohnzimmer (es zeigt sich immer deutlicher, dass Ms. Davis eher eine Angestellte als eine Mitverschwörerin ist), und ich erkenne einige von Dr. Wycombs Gemälden wieder, wobei ich jetzt auch weiß, woher sie kommen: Es sind Arbeiten von Künstlern der New York School, und ich bin fast sicher, dass auch ein de Kooning dabei ist. Inzwischen habe ich zahllose luxuriöse Häuser und Hotels gesehen, und ich selbst lebe ja in einem Museum, wenn man so will, aber in diesem Moment wird mir klar, dass Dr. Wycombs Apartment die erste elegante Wohnung war, die ich je gesehen habe, und dass sie etwas an sich hatte, das mit Geld nicht zu kaufen ist: Stil. Kein Wunder, dass meine Großmutter von ihr so angetan war.
Dr. Wycomb selbst sitzt in einem antiken Polsterstuhl mit olivgrünem Seidenbezug, und obwohl ihre Wohnung gut beheizt ist, liegt eine Decke über ihren Beinen. Sie trägt eine nicht gerade modische Brille mit einem übergroßen Plastikgestell (nicht die Katzenaugenform von früher) und ein weit geschnittenes Seidenkleid, obwohl sie nicht mehr so kräftig gebaut ist wie damals – sie wiegt wahrscheinlich halb so viel wie bei unserer ersten Begegnung. Ihr Gesicht ist tief zerfurcht, das graue Haar trägt sie kurz, und die Augen hinter ihren Brillengläsern wirken hellwach. Neben ihr, zwischen ihrem Lehnstuhl und einem drehbaren Bücherregal aus Walnussholz, steht ein Gehwagen, und auf einem runden Marmortisch vor ihr ein kleiner Schwarzweißfernseher mit einer Bildschirmdiagonale von höchstens dreizehn Zoll. Den Ton hat sie abgestellt, als ich hereinkam.
Sie ist nicht aufgestanden, als Norene Davis mich angekündigt hat – ich hatte den Eindruck, es hätte ihr zu große Mühebereitet, aber vielleicht hat sie es auch aus Prinzip nicht getan –, und jetzt gehe ich auf sie zu und beuge mich zu ihr hinab. »Dr. Wycomb, es ist eine Ewigkeit her«, sage ich überlaut und betont fröhlich. Ich strecke ihr meine Hand entgegen, und als sie sie nicht nimmt, tätschele ich ihren Unterarm. »Ihre neue Wohnung sieht wunderbar aus.«
Die Andeutung eines Lächelns huscht über ihr Gesicht. Leise und bedächtig, aber deutlich antwortet sie: »Nicht alle, die alt sind, sind auch taub, Alice.«
Sofort überkommt mich das erleichternde Gefühl, wiedererkannt zu werden. Bei Leuten, die dich schon kannten, bevor du berühmt wurdest, weißt du schon nach den ersten Sekunden, was du jetzt für sie darstellst – ob sie begreifen, dass du immer noch du selbst bist, oder ob du dich in ihren Augen in jemanden verwandelt hast, dem man Ehrerbietung schuldet. Es ist vielleicht angesichts dessen, dass Menschen einander so stark beeinflussen, wenig überraschend, dass beide Einstellungen berühmten Menschen gegenüber selbsterfüllend sind. Wenn alte Freunde oder Bekannte sich so verhalten, als müssten sie mir größten Respekt entgegenbringen, neige ich dazu, reserviert zu
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