Die Frau des Praesidenten - Roman
»Wenn irgendjemand diese Frau so um den Finger wickeln kann, dass sie aufgibt, dann bist du es. Fahr nach Chicago, bring eure persönliche Beziehung ins Spiel, schmeichle ihr ein bisschen und mach einen auf aufrichtig. Der Nachteil ist: Wenn sie sich nicht um den Finger wickeln lässt, hast du durch deinen Besuch ihre Glaubwürdigkeit erhöht. Aber wir können immer noch eine verwirrte Alzheimerpatientin aus ihr machen: Dann stimmt es, dass sie dich gesprochen hat, aber alles, was mit der Abtreibung zu tun hat, hat sie erfunden.«
»Hank.« Ich warte, bis er mich direkt ansieht. »Ich heuchle keine Aufrichtigkeit. Ich
bin
aufrichtig.«
Hank lächelt sein zögerndes, süffisantes Lächeln. »Das ist deine größte Schwachstelle«, sagt er.
Es gibt einen Aspekt im Leben berühmter Menschen, den niemand, der nie berühmt gewesen ist, je begreifen wird, und das ist die Kritik. Sicher, Worte brechen keine Knochen, aber … die meisten Menschen haben sich vermutlich mindestens ein- oder zweimal in ihrem Leben gewünscht, dass jemand rückhaltlos ehrlich zu ihnen wäre. Wie steht mir dieses Kleid oder diese Frisur wirklich? Was hältst du wirklich von meiner Frau, von meinem Sohn, von dem Haus, das ich gebaut habe, dem Tagungsbericht, den ich geschrieben habe, dem Kuchen, den ich gebacken habe?
Sie wollen es nicht wirklich wissen. Was sie eigentlich wollen, ist ein Kompliment, und dieses Kompliment soll rückhaltlos ehrlich ausgesprochen werden; sie wollen Bestätigung, dievon Herzen kommt. So sieht ehrliche Kritik aber nicht aus. Ehrliche Kritik ist niederschmetternd, zumindest im ersten Moment. Eine meiner Vorgängerinnen, Eleanor Roosevelt, hat dazu schon gesagt: »Jede Frau im politischen Leben braucht eine Haut wie ein Rhinozeros.«
Es gibt hauptsächlich zwei Arten von Kritik: die beiläufige und die direkte. Beiläufige Kritik verbirgt sich zum Beispiel in einem Artikel, der im demonstrativ objektiven Gestus daherkommt, in einem Nebensatz:
Mrs. Blackwell, die noch nie ein großes Gespür für Mode bewiesen hat … Auf die Frage nach den fallenden Sympathiewerten ihres Mannes antwortet Alice Blackwell kurz angebunden und defensiv … Politische Insider behaupten zwar, sie hätte Sinn für Humor, aber öffentlich stellt sie ihn selten unter Beweis … Im Gegensatz zu ihren Vorgängern im Weißen Haus, die oft und gern Besuch empfingen …
Da hat man eine volle Stunde mit einem Journalisten zugebracht, hat sich besonders zu Anfang sehr in Acht genommen, um dann festzustellen, dass man gut miteinander auskam, zusammen lachen konnte (ja, lachen, trotz des angeblich unterentwickelten Sinns für Humor) und hat den Eindruck gewonnen, das Interview sei gut gelaufen – und dann das! Die beiläufige Kritik schmerzt vor allem deshalb, weil sie so neutral daherkommt. Sie mag noch so unberechtigt sein – immer erzeugt sie das Gefühl, es müsse etwas dran sein, als hätte der Interviewer gar nicht vorgehabt, gemein zu sein, sondern würde nur Tatsachen berichten.
Und dann sind da noch die direkten Angriffe, die vor allem im Kabelfernsehen und in Blogs geäußert werden. Gerade in Blogs geschieht das mit einer solchen Vehemenz, dass man den Geifer und die geröteten Gesichter fast zu sehen meint und das wütende Geklapper der Tastaturen hört:
Diese Verräterin des Feminismus … Wie viel Valium muss sie wohl nehmen, um zu verdrängen, dass sie den Antichristen geheiratet hat? … O MEIN GOTT, was für ein unerträgliches WEIBCHEN!!!
Ein-, zweimal im Jahr gebe ich meinen Namen in eine Internet-Suchmaschine ein – ich will mich nicht zu sehr von allem abschirmen, was da draußen gesagt wird –, und immer befälltmich, wenn ich die Ergebnisse überfliege, ein Gefühl, als würde jemand in meinem Magen einen Türknauf umdrehen. Jedes Mal denke ich anschließend, dass es ein Fehler war, nachzusehen, aber wenn genug Zeit vergangen ist, vergesse ich es wieder. Von völlig fremden Menschen in der Luft zerrissen zu werden ist nicht nur schmerzhaft, sondern auch eine so gründliche Umkehrung der normalen Umgangsformen, dass es einen immer wieder in Erstaunen versetzt. Menschen, die nie im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden haben, gehen meist davon aus, dass ihre berühmten Zeitgenossen unendlich selbstzufrieden sind und ihre ständige Präsenz in den Medien genießen, und auf einige mag das zutreffen, aber längst nicht auf alle. Diese Hasstiraden im Internet erwecken auf ihre Weise auch den trügerischen Eindruck, die
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