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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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vorbereitete.
Granny hat ein Verhältnis mit Dr. Wycomb
, würde ich sagen. Ich hatte zunächst angenommen, dass siejetzt, da ich ihr Geheimnis kannte, nicht wieder nach Chicago fahren würde. Vielleicht aber hatte sie gar nicht bemerkt, dass ich es wusste, was wiederum nicht sein konnte, da sie sonst auf eine Erklärung für mein mürrisches Verhalten bestanden hätte.
    »Kaum vorstellbar, zwölf Stunden geduldig zu warten«, sagte meine Mutter gerade.
    Hätte ich das mit meiner Großmutter ahnen können? Mit vierzehn hatte ich mir
Quell der Einsamkeit
aus ihrem Regal genommen, und obwohl mich die Vorstellung von zwei Frauen, die sich ineinander verliebten, etwas verstört hatte, hatte ich das Buch zurückgelegt, ohne sie darauf anzusprechen. Der Roman spielte immerhin zu Beginn des Jahrhunderts und in England. Meine Großmutter, die Großmutter, mit der ich zusammen unter einem Dach lebte, die im Bad das gleiche Stück Seife wie ich benutzte, deren Schmuck und Stöckelschuhe ich als Kind angezogen hatte – sie konnte keine lesbische Beziehung haben. Sie war verheiratet gewesen, hatte ein Kind bekommen! Und selbst wenn es doch so war, warum hatte sie nicht besser aufgepasst, mich nicht davor beschützt, hinter ihr Geheimnis zu kommen? Sie zwang mich dazu, zwischen ihr und meinen Eltern zu wählen. Auf gewisse Art hatte ich sie immer mehr geliebt, hatte ich sie am meisten geliebt und dabei geglaubt, wir hätten uns verschworen, diese schmerzliche Tatsache im Verborgenen zu halten.
    Wir kamen an einem weiteren Fernrohr vorbei, und mein Vater beugte sich vor, um hindurchzusehen. Als er wieder zu uns aufschloss, griff er nach der Hand meiner Mutter, und ich konnte seine Begeisterung spüren.
    Die nächsten drei Nächte verbrachten wir zu dritt in einem Zimmer in einem Motel namens Three Breezes in Saint Ignace. Es gab einen Pool, in dem mein Vater einige Bahnen schwamm; meine Mutter und ich fanden es dafür zu kalt. Bei einer Wanderung durch die Dünen des Michigansees dachte ich mir:
In einer Viertelstunde sage ich es ihnen. In weiteren fünfzehn Minuten. Wenn wir wieder im Auto sitzen
. Am nächsten Tag nahmen wir die Fähre nach Mackinac Island, fuhren in einer Pferdekutsche, aßen Karamellkonfekt und mittags in einem Restaurantim Grand Hotel. »Vielleicht verbringst du hier eines Tages deine Flitterwochen«, sagte meine Mutter und tätschelte mir unter dem Tisch das Knie.
Sie haben ein Verhältnis
, dachte ich,
und Dr. Wycomb macht ihr teure Geschenke, und vielleicht gibt sie ihr sogar Geld
.
    Während unseres letzten Abendessens in Saint Ignace tranken meine Eltern zwei Flaschen Wein, und später überredete mein Vater meine Mutter, mit ihm im Pool zu schwimmen. Es war bereits dunkel, aber der Pool leuchtete, und vom Zimmer aus konnte ich sie kichern hören. Ich ging ins Bett. Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, dachte ich:
Sie wissen es bereits
. Ich hörte, wie sie im Bett gegenüber schliefen, hörte meine Mutter tief atmen und meinen Vater leise schnarchen, als ob er selbst im Schlaf noch versuchen würde, höflich zu sein.
Sie wissen es bereits
, dachte ich,
und wenn nicht, dann nur deshalb, weil sie sich dazu entschlossen haben, es nicht zu wissen
. Das würde auch den anfänglichen Widerstand meines Vaters gegen meine Reise nach Chicago letzten Winter erklären. Mir wurde klar, dass ich nichts sagen würde, da es nicht nötig war, es war nicht meine Aufgabe. Ich war froh, dass ich die Worte zuvor nicht über die Lippen gebracht hatte.
    Tatsächlich ist mir von diesem Urlaub neben meinen quälenden, engstirnigen Grübeleien vor allem das Bild meines Vaters in Erinnerung geblieben, wie er nach unserer Ankunft außer sich vor Freude auf der Promenade steht und mit vom Wind zerzaustem Haar versucht, meiner Mutter und mir zu erklären, was die Mighty Mac so eindrucksvoll macht. Damals fragte ich mich – und das tue ich bis heute –, ob das nicht der glücklichste Moment im Leben meines Vaters war.
     
    Obwohl es weiter war, nahmen wir die südliche Route nach Hause: Noch einmal über die Mighty Mac (diesmal durfte ich fahren), dann hinunter durch den südlichen Teil von Michigan, südwestlich entlang der Grenze zu Indiana und nordwestlich nach Illinois, wo wir an einem Bahnhof im fünfzig Kilometer außerhalb von Chicago gelegenen Bolingbrook meine Großmutter einsammelten. Wir saßen zusammen auf dem Rücksitz,doch sie schien mich bereits vor Monaten resigniert aufgegeben zu haben und las
Anna

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