Die Frau des Praesidenten - Roman
gemeinsamen Nächte, unsere Jahrestage, jedes Wiedersehen an einem Flughafen oder Bahnhof, jede Versöhnung nach einem Streit. Es war unser gesamtes gemeinsames Leben.
Uns zu umarmen, als wir einander erreicht hatten, schien das Selbstverständlichste zu sein, was wir hätten tun können, doch wir taten es nicht. Ich bedaure das sehr, wenn es auch gewiss nicht das ist, was ich am meisten bedaure. Wir standen uns gegenüber, die ausgebliebene Umarmung sorgte für eine aufgeladene Spannung, und er sagte: »Das mit meinem Bruder neulich tut mir leid.« Er blickte kurz über die Schulter, als wäre Pete irgendwo in der Nähe. »Ich hoffe, er hat dich nicht gekränkt.«
»Nein, er ist witzig, aber ihr scheint euch nicht sehr ähnlich zu sein.«
»Moment mal, soll das etwa heißen, ich bin
nicht
witzig?«
»Doch, du bist auch witzig«, sagte ich. »Ihr seid beide witzig.«
»Sehr diplomatisch … ich weiß das zu schätzen. Kommst du morgen zum Spiel?«
»Ich verkaufe Popcorn.« Erfrischungen zu verkaufen war eine meiner Aufgaben im Spirit Club. »Ich habe gehört, du bist dieses Jahr im Team?«
»Na ja, ich hab lange genug gewartet.« Er lachte leise, und esklang weniger verbittert als vielmehr zurückhaltend. »Mit Pete wird mich jedenfalls niemand verwechseln, so viel ist sicher.«
Das stimmte – vor unserer Zeit an der Highschool war Andrews Bruder der Star-Runningback der Knights gewesen –, aber ich sagte stattdessen: »Doch, du siehst ziemlich taff aus in deiner Ausrüstung.« Als ich mich das sagen hörte, lief ich augenblicklich rot an.
»So?« Andrew beobachtete mich. »Sehe ich aus, als könnte ich dich beschützen?«
Wir lächelten uns an; jede Andeutung wurde vom anderen verstanden, jede Bemerkung war lustig oder als Kompliment gemeint, und plötzlich dachte ich:
Wir flirten
.
Ohne darüber nachzudenken, sagte ich plötzlich: »Warum warst du mit Dena zusammen?«
»Weil ich elf Jahre alt war.« Er lächelte noch immer. »Ich wusste es nicht besser.«
»Aber du bist mit ihr zusammengeblieben. Vier Jahre lang!«
»Warst du eifersüchtig?«
»Ich fand es« – ich machte eine kurze Pause – »seltsam.«
»Mit Dena zusammen zu sein bedeutete, Zeit in deiner Nähe verbringen zu können«, sagte er.
Wollte er mich auf den Arm nehmen? »Wenn das stimmt, dann ist es Dena gegenüber nicht gerade nett gewesen«, erwiderte ich.
»Alice!« Er schien gleichermaßen belustigt wie ernsthaft besorgt, mich verärgert zu haben.
Ich senkte den Blick. Was versuchte ich eigentlich zu sagen? Diese wichtige Sache, die ich die ganze Woche zu sagen vorgehabt hatte, wenn Andrew und ich alleine wären – sie fiel mir nicht ein.
»Wie wär’s damit?«, sagte er. »Von nun an versuche ich netter zu sein.«
Ich sah auf und sagte: »Ich werde auch versuchen, netter zu sein.«
Er lachte. »Das warst du doch immer.« Es entstand eine Pause, dann fragte er: »Ist das ein Herz?« Er streckte die Handaus und fasste nach dem silbernen Anhänger an meiner Halskette, und während er ihn ganz leicht festhielt, berührten seine Fingerspitzen die kleine Kuhle zwischen meinen Schlüsselbeinen.
»Meine Großmutter hat ihn mir zum sechzehnten Geburtstag geschenkt«, sagte ich.
»Er ist schön.« Er ließ den Anhänger an meinen Hals zurückgleiten. »Ich sollte dann wohl mal zum Training, sonst krieg ich Ärger. Falls wir uns morgen nach dem Spiel nicht sehen – bleibt es bei Samstag auf Freds Party?«
Ich nickte. »Ist es eine Party, zu der man pünktlich kommt, oder eher später?«
»Ich werde so gegen halb acht von zu Hause losfahren. Das solltest du auch.« Andrew war ungewöhnlich direkt, besonders für einen Highschool-Jungen; der Grund dafür war vermutlich sein nicht zur Schau gestelltes Selbstvertrauen. Später, am College, spielten die Jungs und Mädchen diese typischen Spielchen: Mädchen warteten eine bestimmte Anzahl von Tagen ab, bevor sie die Jungs zurückriefen, oder Jungs riefen nur an, wenn sie auf einer Party von den Mädchen ignoriert wurden oder sie zusammen mit einem anderen Kerl sahen. Doch vielleicht mochte mich Andrew – im Unterschied zu diesen Jungs und Mädchen am College – wirklich. Dann wiederum denke ich, nein, vielleicht tat er das nicht. Vielleicht habe ich mir aufgrund der darauffolgenden Ereignisse die große Liebe für uns nur ausgedacht. Mir wurde die grausame Ehre zuteil, allein zu entscheiden, was hätte passieren können. Es war niemand mehr da, der mir widersprochen
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