Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
Vom Netzwerk:
Kuss auf die Wange. Ich hatte bis dahin noch nie den ersten Schritt gemacht, doch der Umstand, dass Simon jünger war als ich, ermutigte mich.
    Er schien überrascht, doch keineswegs abgeneigt, und wir schmiegten uns aneinander. Er schlang seinen rechten Arm um mich, und ich hoffte, er würde mich auch mit seinem linken Arm berühren, doch das tat er nicht. Was ich damals nicht wusste, erst Jahre später in einem Artikel las, ist, dass es sogenannte Amputationsfetischisten gibt, und auch wenn es klingt, als würde ich mich verteidigen, schließe ich eine solche Neigung für mich aus. Zwar gestehe ich mir im Nachhinein ein, dass ich mich ohne seine Verletzungen wohl nicht zu ihm hingezogen gefühlt hätte, doch waren es nicht die Verletzungen an sich. Wenn er seinen handlosen Arm auf meinen Rücken legen würde, so dachte ich, wäre das ein Zeichen des Vertrauens. Er würde sich verwundbar machen, um mir näher sein zu können, und ich hätte die Möglichkeit, ihm zu zeigen, dass ich dieses Risiko wert war. Ich würde ihn mögen, ohne ihn zu bewerten.
    Trotz der Frage, die er mir vor dem Schuhgeschäft gestellt hatte, schienen Simon seine Verletzungen nicht allzu befangen zu machen. Er hatte weitere Narben auf der linken Brust, wie ich bei unseren nächsten Treffen feststellte. Im frühen Winter1970 war seine Kompanie in der Provinz Phuoc Long in einen Hinterhalt geraten, wobei er von einer Panzerfaust getroffen worden war. Er ging damit, wie mit fast allem, nüchtern um; mehr als einmal bezeichnete er den Vietnamkrieg als »Beschiss«, doch insgesamt äußerte er nur selten seine politischen Ansichten, und wenn, dann nur sehr knapp. Er war natürlich nicht der Erste, von dem ich wusste, dass er in Vietnam gekämpft hatte. Mehr als ein Dutzend Jungs aus meiner Klasse an der Benton County Central High School waren hinübergegangen. Im September 1968, drei Monate nach unserem Abschluss, war Bradley Skilba in Tay Ninh getötet worden. 1969 war Yves Haakenstad querschnittsgelähmt in einem Rollstuhl heimgekehrt und 1970 Randall Larson nordöstlich von Katum gestorben. Manchmal dachte ich darüber nach, wie anders die Dinge verlaufen wären, wenn Andrew Imhof auch in den Krieg gezogen wäre – was durchaus möglich gewesen wäre – und wenn er in Vietnam, statt an der Kreuzung De Soto Way/ Farm Road 177, sein Leben verloren hätte. Für seine Familie wäre es vermutlich einfacher gewesen, ein ehrenhafter, nicht derart sinnloser Verlust. Für mich wäre es, ohne die erdrückende Schuld, zweifellos leichter zu ertragen gewesen. Dennoch wäre er fort, würde ich ihn vermissen, und auf gewisse Art wäre es sogar schlimmer zu wissen, dass er in einem fremden Land, so weit weg von zu Hause, gestorben wäre. Letztendlich schien mir diese Art Traurigkeit nicht erstrebenswerter.
    Die ersten Male, die Simon und ich miteinander schliefen, fühlte ich mich sicher, alles war neu, aufregend und berauschend. Seit Pete Imhof hatte ich nur mit Wade Trommler geschlafen, mit dem ich zwei Jahre lang während des Colleges zusammen gewesen war. Trotz unserer Trennung, die auf einen Heiratsantrag gefolgt war, den er mir im Sommer vor unserem letzten Studienjahr gemacht und den ich abgelehnt hatte, würde ich Wade immer dankbar sein, dass er so lieb und zärtlich zu mir gewesen war – dass er so anders war als Pete. Nach Wade hatte ich hin und wieder Verabredungen gehabt, und oft hatte ich gespürt, dass Männer mich um eine Verabredung gebetenhätten, wenn ich sie dazu ermutigt hätte. Doch genau wie Wade kamen mir diese Männer größtenteils jungenhaft und naiv vor.
    Während meines letzten Jahres am College hatte ich aufgehört, eine Heirat als mein Geburtsrecht zu betrachten. Nicht, dass ich der Meinung war, es grundsätzlich nicht mehr zu verdienen, oder dass ich glaubte, die Welt würde mich im Stich lassen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, einen Mann zu heiraten, bevor ich mich ihm nicht vollständig geöffnet hatte – ich wollte niemandem etwas vorspielen müssen –, doch bei den meisten Männern gelang mir das nicht, war es unmöglich, mein Innerstes mit all den Wirrungen nach außen zu kehren. Der Gedanke an all die Anstrengungen und Erklärungen, die damit verbunden gewesen wären, entmutigte und beruhigte mich zugleich. Im Gegensatz zu anderen Frauen aus meinem Bekanntenkreis steigerte ich mich nicht panisch in die Suche nach dem Richtigen hinein, sondern akzeptierte, dass sich die kommenden Jahre auf ihre Art entwickeln

Weitere Kostenlose Bücher