Die Frau des Praesidenten - Roman
von ’68 –’73 im Westen im Gastgewerbe tätig gewesen war. Danach hatte er die Wharton School an der University of Pennsylvania besucht und 1975 seinen Abschluss gemacht. (
Wirtschaftsschule?
, dachte ich.) Seit zwei Jahren war er nun stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung von Blackwell Meats, wo er für Produktmanagement und Vertrieb zuständig war (er hatte also einen Job). Momentan war er dabei, sich in Houghton niederzulassen. Aber Moment mal – Houghton?
Charlie betrat das Podium und justierte das Mikrofon. »Wir, die Bürger des Sechsten Bezirks von Wisconsin, sind eine starke Gemeinschaft«, begann er. »Wir sind selbstbewusst, das Salz der Erde, stolz, aber nicht hochmütig, fortschrittlich, aber nicht respektlos gegenüber der Vergangenheit.«
Ich warf einen Blick auf die Gesichter links neben mir. Wie konnte man das für etwas anderes als eine Wahlkampfrede halten? Nicht, dass sie, für eine Wahlkampfrede, schlecht war. Charlie war nicht elektrisierend, aber er wirkte überzeugend und intelligent und sah – ich konnte es nun zugeben – bemerkenswert gut aus. »Es ist kein Geheimnis, dass wir vor Herausforderungen stehen«, sagte er gerade. »Unser Staat braucht mehr Arbeitsplätze, eine umfassende Gesundheitsfürsorge, weniger monatliche Belastungen für Arbeiterfamilien. Für alle Blackwells haben diese Punkte seit langem oberste Priorität, und auch für mich sind sie ganz zentral.«
Als er fertig gesprochen hatte, richteten ein paar Männer Fragen an ihn (bis auf zwei betagte Damen waren nur Männer anwesend), aber das Publikum war, wie für die Menschen im Mittleren Westen typisch, freundlich und respektvoll. Selbst die vermutlich provokativste Frage – »Wie wäre es, wenn Sie ein paar Arbeitsplätze schaffen würden, indem Sie eine Blackwell-Fabrik in Waupun eröffneten?« – schien als Scherz gemeint zu sein, zumindest wurde sie mit Gelächter aufgenommen. Ich blieb sitzen, bis sich der Raum geleert hatte und nur noch Charlie, der Clubpräsident, ein Hausangestellter, der damit begonnen hatte, die Stühle zusammenzuklappen, und ein jüngerer Mann an Charlies Seite anwesend waren. Ich nahmein Buch aus meiner Handtasche –
Unter dem Astronautenmond
, ich hatte es am Abend zuvor begonnen –, und nach einigen Minuten kam mit ausgestreckter Hand der junge Mann auf mich zu. »Hank Ucker. Sie müssen ›Marian the Librarian‹ sein.«
»Alice Lindgren«, sagte ich und stand auf, um ihm die Hand zu geben. Seine Bemerkung über Marian ignorierte ich – ich bekam sie häufig zu hören, meistens von Männern, und vor allem von Männern, die ich gerade erst kennengelernt hatte. Sie spielten auf das Klischee von Brille, Dutt und Frigidität an, wohinter sich hemmungslose Sexualität verbergen sollte.
Hank Ucker deutete auf meinen Roman von John Updike. »Es geht doch nichts über eine gute Raumfahrergeschichte.«
In Wirklichkeit handelte
Unter dem Astronautenmond
von einem Mann in Pennsylvania, dessen Ehe gescheitert war, aber ich korrigierte ihn nicht. Hank Ucker war kleiner als Charlie, ein paar Zentimeter größer als ich, hatte eine fliehende Stirn, eine Himmelfahrtsnase, den Ansatz zu einem Doppelkinn und trug eine Schildpattbrille, hinter der sich intelligente, leicht schielende Augen verbargen. Er gehörte zu jenen Männern, die aussahen, als wären sie bereits mittleren Alters auf die Welt gekommen; in der Tat würde sich sein Äußeres in den kommenden Jahrzehnten kaum verändern, und mit fünfzig würde er fast wie ein Milchbubi wirken. Ich schätzte ihn auf etwa dreißig. »Eine großartige Rede, die unser Freund Blackwell da gehalten hat«, meinte er. »Finden Sie nicht auch?«
»Werden Sie ihn bei seinem Wahlkampf unterstützen?«, fragte ich.
Mit gespielter Ahnungslosigkeit fragte Hank Ucker: »Welcher Wahlkampf?«
Ich zögerte.
»Kleiner Scherz«, sagte er. »Wir halten es vorerst noch geheim, damit es bei der Bekanntgabe so richtig einschlägt. Sie waren noch nie verheiratet, oder?«
Ich sah ihn verständnislos an.
»Ich frage, weil Sie so hübsch sind«, fügte er hinzu, und ich war verblüfft, keinerlei flirtenden Unterton in seiner Bemerkungzu entdecken. »Ich könnte mir vorstellen, dass eine Frau wie Sie jede Menge Verehrer hat.«
»Sind
Sie
denn verheiratet, Mr. Ucker?«
»Hank, bitte, und ja, bin ich.« Er hielt mir seinen linken Handrücken hin und wackelte mit den Fingern, um auf den golden glänzenden Ring aufmerksam zu machen. »Mrs. Ucker und
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