Die Frau des Praesidenten - Roman
wahrscheinlich.« Er grinste mich an. »In meiner Familie nennen wir das in sein Horn stoßen.«
Ich fand ihn so unglaublich attraktiv, und er war auf eine Art von seinen Reizen überzeugt, die mir jungenhaft und liebenswert, nicht arrogant erschien. Er wollte permanent kuscheln, verwendete das Wort
kuscheln
sogar, was ich nie zuvor einen Mann hatte sagen hören. An einem Abend machte ich uns Heilbutt in Aspik zum Abendessen, und anschließend kümmerte er sich um den Abwasch. Als er fertig war, kam er zu mir ins Wohnzimmer, wo ich auf der Couch lag und las, und ohne ein Wort zu sagen, nahm er mir das Buch aus der Hand, legte sich flach auf mich und fragte: »Willst du deinen Mann gar nicht umarmen?«
Wenn wir bei ihm waren, grillten wir draußen, entweder Hamburger oder Steaks (an dem Abend im Red’s hatte ich noch nicht gewusst, dass wir gerade eines seiner beiden Lieblingsgerichte aßen). Sein Kühlschrank war größtenteils leer, bis auf ein paar Artikel, die alle der gleichen Kategorie angehörten: Ketchup, Senf, Soße, einige Packungen Hamburgerbrötchen,die er nach dem ersten Öffnen grundsätzlich nicht wieder richtig verschloss und die danach alt wurden, sowie ein komplettes Fach voller Bier. Sein Gefrierfach hingegen war bis oben hin mit mehreren Packungen Rumpsteaks ohne Knochen und Rinderhackfleisch gefüllt, alles aus dem Hause Blackwell. Seine Wohnung lag im Erdgeschoss, und in einer gepflasterten Ecke seines Gartens stand ein schwarzer, dreibeiniger Holzkohlegrill, zu dem er gewöhnlich durch das Küchenfenster hinauskletterte, statt durch die Eingangstür zu gehen und um das Haus herumzulaufen. Während er kletterte, saß ich auf einem Stuhl in der Küche, reichte ihm das Fleisch nach draußen und nahm es ihm auf dem Rückweg wieder ab, dann setzten wir uns mit unseren Tellern im Wohnzimmer auf die Couch und schauten Baseball. Für eine Menge Frauen wäre diese Vorstellung sicherlich wenig reizvoll, doch mir gefiel es, wie sich unsere Unterhaltung durch das Spiel vereinfachte, wie wir reden konnten, aber nicht mussten. Besonders süß fand ich Charlie, wenn er mir ein Spiel erklärte: »Die Parade eben war großartig, denn wenn der Ball direkt auf dich zukommt, lässt sich nur schwer abschätzen, wie tief er fliegt.«
Charlie frühstückte jeden Morgen in einem Imbiss auf der Atwood Avenue, und er lud mich ein, ebenfalls dorthin zu kommen, doch ich befürchtete, dass wir jemanden treffen könnten, der uns kannte, und wir wirken würden, als hätten wir die Nacht zusammen verbracht. (»Dann können wir es ja auch tun«, witzelte Charlie; doch ich war erwachsen geworden, bevor sich die Ideen der sexuellen Befreiung wirklich durchgesetzt hatten, musste zu Beginn des Colleges zu festen Zeiten zu Hause sein – unter der Woche um zehn, am Wochenende um elf –, und in der Studentinnenverbindung waren Jungs auf dem Zimmer verboten gewesen. Es fiel mir daher nicht leicht, die Anstandsregeln jener Zeit ganz aus dem Kopf zu bekommen.) Außerdem hatte ich tagsüber zu tun: Bis zu den Lehrerkonferenzen Ende August wollte ich die Pappmaché-Figuren fertiggestellt haben, und während die Wochen verstrichen, wurde es nun wirklich Zeit für die Unterrichtspläne. Ich war stolz darauf, als Bibliothekarin nicht einfachJahr für Jahr den gleichen Stoff wiederzukäuen, und dieses Jahr freute ich mich besonders über ein neues Buch mit dem Titel
Sadako und die tausend Papierkraniche
, mit dem ich die Viertklässler auf Origami einstimmen wollte.
Was Charlies Pläne anging, bezeichnete er diese Zeit vor mir und auch vor anderen gern als die Ruhe vor dem Sturm. Da mich das Thema nervös machte, sprach ich ihn nur selten auf seine bevorstehende Kandidatur an. Das Ganze kam mir unwirklich vor. Wollte er tatsächlich den Großteil des Jahres in Washington D. C. verbringen, in einem Bürogebäude auf dem Capitol Hill sitzen, über Politik diskutieren und Abstimmungen im Repräsentantenhaus über sich ergehen lassen? Mein rastloser, alberner, sportlicher, impulsiver Charlie? Mir kam es vor, als würde er eine Rolle in einem Theaterstück spielen. Und was würde aus uns werden, wenn er gewählt würde (was unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich war)?
Das Stammhaus von Blackwell Meats, das am Stadtrand von Milwaukee lag, suchte er, soweit ich es mitbekam, nicht öfter als zweimal pro Woche auf. Er fuhr zwar regelmäßig nach Milwaukee, doch weniger zum Arbeiten, als vielmehr um sich gegen Mittag mit einem seiner Brüder zu
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