Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Stimme klang verändert. »Du meinst, ich soll einfach nur dasitzen und warten, bis ich weiß, ob ich nun eine Witwe bin oder nicht? Ich soll mein Leben in Conrads Hände geben, der mich hasst? Meinst du das? Hilda, vielleicht ist Albert noch am Leben, und ich sitze hier tatenlos herum. Heilige Muttergottes, das kann doch nicht dein Ernst sein!« Ragnhild war über ihre Scharfzüngigkeit selbst ein wenig überrascht. Dieser harsche Ton wollte so gar nicht zu ihr passen, doch sie konnte und wollte nicht länger klagen und weinen. Nein, im Gegenteil. Sie musste endlich handeln, schon ihren Kindern zuliebe. Jahrelang hatte sie sich auf die Stärke Alberts verlassen können, doch er war jetzt nicht da. Möglicherweise brauchte er im Gegenzug gerade ihre Hilfe.
Sie schaute auf und sagte mit fester Stimme: »Wenn der Bote tatsächlich nach Flandern geschickt wird, dann gewinne ich ein bisschen Zeit. Ich weiß noch nicht, was ich mit dieser Zeit anfangen werde, aber eines weiß ich genau: Ich werde die Zeit sinnvoll nutzen. Ich werde sie nutzen für mich und meine Kinder. Und wer weiß, vielleicht sogar für Albert!«
Eine Weile lang sprach keiner ein Wort. Dann standen Marga und Hilda auf und schlossen Ragnhild wortlos in die Arme. Die Freundinnen konnten nichts für sie tun, das wusste Ragnhild, doch das gemeinsame Schweigen hatte dennoch etwas Tröstliches an sich. Kurz darauf wünschte sie den beiden Mägden eine gute Nacht und ging in ihre Kammer, wo sie, dicht an Runa gekuschelt, einschlief.
Conrad kam langsam zu sich. Er hätte allerdings nicht sagen können, ob es wegen der Schmerzen an seinem Hinterkopf oder wegen des stinkenden Wassers war, das ihm soeben ins Gesicht gekippt worden war.
»Aufwachen, du Hundsfott!«, fuhr ihn eine Männerstimme an.
Für einen kurzen Moment versuchte sich Conrad daran zu erinnern, was eigentlich passiert war. Er musste sich sehr anstrengen, um seine Gedanken zu ordnen und gleichzeitig die Augen zu öffnen. Kurz darauf wünschte er fast, er hätte sie geschlossen gelassen. Wo war er hier? Seine Umgebung löste Panik in ihm aus. Fauliges Stroh lag auf der Erde, und die glitschigen Steinquader an den Wänden waren grünlich verfärbt. Der Gestank um ihn herum machte ihn fast besinnungslos. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Hände in eiserne Schellen geschlossen waren, die an den Wänden hingen. Conrad befand sich in einem Verlies!
Vor ihm standen drei Gestalten, alle in lange Mäntel gehüllt und ihre Gesichter durch weite Kapuzen im Schatten verborgen. Das schwache Licht der beiden Wandfackeln hinter ihnen genügte gerade, um ihre Umrisse abzuzeichnen.
»Was wollt Ihr? Wer … wer seid Ihr?« Conrads Stimme war nicht viel mehr als ein Krächzen. Sein Mund war trocken und seine Zunge vom Durst geschwollen.
Der Größte unter ihnen ergriff das Wort. »Ihr habt doch nicht etwa geglaubt, dass wir es Euch so einfach machen, oder?«, fragte er höhnisch. »Ratet doch mal. Wer hätte wohl Spaß daran, Euch so zu sehen?«
Sofort glaubte Conrad, die Stimme zu erkennen. Doch er schaffte es nicht, sie mit einem Gesicht in Verbindung zu bringen. Zu schwer fiel ihm jeder Gedanke. »Was … was wollt Ihr von mir? Lasst mich gefälligst gehen. Wisst Ihr überhaupt, wen Ihr vor Euch habt?«
Ein brutaler Schlag in den Magen ergänzte die folgende Antwort. Conrad wurde die Luft aus den Lungen gepresst. Helle Punkte zeichneten sich vor seinen geschlossenen Augen ab. Mit schmerzverzerrtem Gesicht krümmte er sich zusammen, so gut es die Ketten zuließen.
Einer der anderen Männer antwortete, indem er sich hämisch die Hand auf die Brust legte und dabei verbeugte. »Sicher, sicher. Wir wissen genau, wen wir vor uns haben. Bitte verzeiht die fehlenden Annehmlichkeiten Euer Unterkunft.«
Dröhnendes Gelächter folgte, und Conrad glaubte, sein schmerzender Schädel müsse zerbersten.
»Genug der Späße«, schloss wiederum der Größte streng, woraufhin alles verstummte. »Kommen wir nun zum, ich nenne es mal, geschäftlichen Teil.« Er trat einen Schritt auf Conrad zu, blieb aber gerade noch weit genug entfernt, sodass er sein Gesicht nicht zu erkennen gab. »Dieses eine Mal habt Ihr noch Glück gehabt, Conrad von Holdenstede. Unser kleines Treffen in dieser unwirtlichen Stube ist lediglich eine Warnung. Allerdings wird es nur dann dabei bleiben, wenn Ihr genau das tut, was wir von Euch verlangen.«
Conrad war verwirrt. »Wovon redet Ihr, Mann? Werdet gefälligst deutlicher!«
Der Vermummte
Weitere Kostenlose Bücher