Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Die Boten waren in Varel? Sie sollten doch eigentlich in Butjadingen sein. Wie kann das sein?«
Walther schüttelte verwirrt den Kopf.
»Nun verstehe ich gar nichts mehr, Thiderich. Was sollen sie denn in Butjadingen, wenn der Mann, den wir suchen, in Aldessen vermutet wird?«
Thiderich musste zugeben, dass es kompliziert war. Mit wirren Worten versuchte er zu erklären, dass die Boten eigentlich zu dem Fundort der Wrackteile ausgesandt worden waren. Er selbst aber sollte zu der Stelle reiten, wo sein Oheim als bisher einziger Überlebender der Resens gestrandet war. Der entscheidende Vorteil Thiderichs war bisher gewesen, dass die Boten nichts von der Bedeutung des Ortes Aldessen gewusst hatten und sich deshalb in Rüstringens Norden aufhalten sollten. Doch warum waren sie dann jetzt in Varel?
Walther versuchte die Geschichte in seinem Kopf zusammenzusetzen, und so langsam ergab alles einen Sinn. Selbst die Erinnerung an den gestrigen Abend in der Schenke kam allmählich zurück. Mit jedem Moment erwachte er mehr zu neuem Leben. All die Jahre, die er in seiner Heimat Sandstedt zugebracht und sich nichts mehr gewünscht hatte, als endlich ein Abenteuer zu erleben, schienen nun in diesen einen Augenblick zu münden. »Thiderich, wenn die Boten eigentlich gar nicht wissen, dass dein Oheim Heyno in Aldessen angespült wurde, dann müssen sie tatsächlich einen Hinweis bekommen haben. Warum sonst sollten sie jetzt in Varel sein? Noch haben wir aber einen Vorsprung – schließlich wissen sie nicht, wer ich bin, aber ich habe sie erkannt.«
Ohne viele weitere Worte schwangen sich beide auf Millies Rücken. Diese wollte sich zunächst dagegen wehren, doch Thiderich brach kurzerhand einen Zweig ab und hieb ihn zischend auf die Kruppe der störrischen Stute. Eigentlich wollte er noch eine Warnung ausstoßen, doch es war zu spät. Mit einem sagenhaften Satz sprang Millie nach vorn und galoppierte los.
Walther, der nicht im Geringsten damit gerechnet hatte, dass dieser Gaul zu solch einer Geschwindigkeit fähig war, wäre fast hinuntergefallen, doch im letzten Moment griff Thiderich nach hinten und zog seinen Gefährten wieder hinauf.
Millie stürmte außerhalb jeder Kontrolle durch den Wald. Dieses Mal versuchte Thiderich nicht sie anzuhalten, sondern trieb sie immer weiter. Die Bäume am Wegesrand flogen nur so an ihnen vorbei. Ohne zu ermüden, rannte Millie weiter, wich geschickt jedem Hindernis aus und übersprang sogar die Pfützen, vor denen sie sonst so gerne stehen blieb. Irgendwie schien sie zu spüren, dass jede Minute zählte.
Erst als die ersten ärmlichen Häuser Aldessens zu sehen waren, drosselte Thiderich das Tempo. Wild schnaufend fiel Millie in einen ruhigen Schritt.
Sie waren da. Am Ziel ihrer langen Reise!
Nachdem sich Bodo und Nicolaus in der Schenke gestärkt hatten, wollten sie den Pfarrer der Vareler Kirche aufsuchen. Dieser war jedoch zurzeit in den umliegenden Dörfern unterwegs und wurde nicht vor dem morgigen Tage zurückerwartet. Übellaunig angesichts der Verzögerung blieb ihnen tatsächlich nichts anderes übrig, als auf den nächsten Tag zu warten. Nachdem sie die einzig freie und wahrhaft widerliche Bleibe für die Nacht gefunden hatten, in der es unerträglich nach Kotze stank, zog sich Nicolaus ins Gebet zurück, und Bodo ging allein wieder in die Schenke.
Der Bote hatte wenig Lust aufs Beten und viel mehr Lust aufs Trinken. Auch wenn er sich auf der weiten Reise trotz aller Dispute irgendwie an Nicolaus gewöhnt hatte, genoss er es doch, ihn nun für eine gewisse Zeit los zu sein.
Allein saß er vor seinem Bier und schaute in die Runde. Obwohl es noch früh am Nachmittag war, schienen alle Anwesenden bereits mächtig betrunken zu sein. Als sich zwei der Männer an seinen Tisch setzen wollten, machte er ihnen mit einem verächtlichen Blick klar, dass er allein zu sitzen wünschte. Er konnte es nicht erwarten, endlich wieder in die Heimat zu reiten. Es verunsicherte ihn, nicht zu verstehen, worüber dieses Pack redete. Mit jedem weiteren Schluck verstärkte sich sein Gefühl, dass sie möglicherweise über ihn sprachen. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte jedem Kerl ein paar Hiebe verpasst, doch er allein gegen alle anderen? Das schien ihm sogar jetzt, da er selbst besoffen war, aussichtslos.
Mit einem Mal fiel sein Blick auf eine Frau. Sie war sehr groß, hatte rotes Haar und bot ganz offensichtlich ihre Dienste an. Das war es, was er brauchte. Ein paar rosige
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