Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
hautengen Beinlinge mit Nesteln befestigt. Darüber legten die Herren ein Untergewand, und darüber trugen sie wiederum ein Obergewand. Diese Gewänder waren im oberen Bereich eng geschnitten und im unteren Bereich, durch eingenähte Stoffkeile, extra weit. Als Letztes legten die Herren sich ebenfalls einen Tasselmantel um, in dessen Kordel sie gerne ihren Zeigefinger einhakten. Auf ihren Häuptern trugen sie desgleichen edle Hüte aus Filz, Stoff oder Leder.
Auch wenn Hilda sich den lieben langen Tag mit nichts anderem beschäftigen konnte als mit dem Betrachten der feinen Damen, dauerte es nicht lange, da begann Runa sich zu langweilen. Schöne Kleider und vornehmes Benehmen hatten noch nie einen Reiz auf sie ausgeübt. Jedes Bitten und Flehen ihrerseits, sich entfernen zu dürfen, war aber zwecklos; sie musste weiter brav an Hildas Hand bleiben. Nach einiger Zeit ergab sie sich ihrem Schicksal und ließ den Blick schweifen. Aus der Not heraus fing sie an, alle Hüte mit gleicher Farbe zu zählen, geriet dabei aber schnell an ihre Grenzen, da sie nur bis acht zählen konnte. Als das keinen Spaß mehr machte, begann sie ein Lied zu singen, das Marga ihr beigebracht hatte; aber schon nach den ersten Worten gebot Hilda ihr streng Einhalt. Ihre Langeweile wuchs fast ins Unermessliche, als sie plötzlich etwas entdeckte, das ihr Interesse entfachte.
Zwei Männer kamen langsam herangeritten. Anders als alle anderen anwesenden Männer waren diese überhaupt nicht edel gekleidet. Ganz im Gegenteil, sie waren schmutzig und hielten sich gerade noch eben auf ihren Pferden. Der Größere von beiden hatte eine Wunde an der Stirn, und der andere, der die gleiche Kleidung wie Vater Lambert trug und somit wohl ein Kirchenmann war, hatte seinen Arm in einer Schlinge aus schmutzigem Stoff. Niemand außer Runa schien die beiden Reiter bisher bemerkt zu haben, und so stieß sie Hilda mit dem Finger an.
Diese war noch immer ganz vertieft in das Beobachten der feinen Damen und wollte Runa gerade zurechtweisen, als sie dem Blick des Mädchens folgte. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, wer die beiden Männer waren, doch dann fuhr der Schreck ihr durch die Glieder. Es waren die Boten des Rates und des Domkapitels!
Hilda erkannte ihre Gesichter genau, denn sie hatte die Boten schon einmal gesehen – am Tag vor ihrer Abreise waren sie in die Reichenstraße zu Conrad gekommen und hatten sich zwei Säckchen voll mit Münzen geholt. Jetzt waren sie tatsächlich wieder zurück. Die Magd konnte nicht leugnen, dass dies kein gutes Zeichen für Ragnhild war. Von ihrem geheimen Boten fehlte bisher nämlich jede Spur. Einen kurzen Augenblick lang überlegte Hilda, ob sie loslaufen und die Freundin vorwarnen sollte, doch sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Was hätte sie Ragnhild schon sagen können, was sie nicht sowieso gleich erfahren würde? Es schien tatsächlich das Beste zu sein, einfach hier stehen zu bleiben – es würde nun kommen, wie es kommen musste. Auch wenn Hilda nicht wissen konnte, welche Nachricht die Boten mitbrachten, befiel sie dennoch ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl, als ob Ragnhild ihre Hilfe gleich sehr gut brauchen könnte. Um in ihrer Machtlosigkeit trotzdem irgendetwas zu tun, schloss sie die Augen und fing an zu beten.
Dann wurde es unruhig. Immer mehr Leute bemerkten die Reiter. Und als sich herumsprach, wer die Männer waren, gerieten die Feierlichkeiten fast in den Hintergrund. Jeder wollte wissen, welche Neuigkeiten sie über Albert von Holdenstede mitbrachten.
Hilda öffnete die Augen. Sie sah Ragnhild, die nun auch auf die Reiter starrte. Ihre Freundin war leichenblass.
Die Boten waren abgestiegen und drängten sich vor zu Bertram Esich und Johann Schinkel. Conrad, Luburgis und Ragnhild standen direkt dahinter. Große Aufregung entstand.
Hilda konnte nichts verstehen. Die Hände noch immer zum Gebet gefaltet, musste sie aus der Ferne mit ansehen, was sich in der Mitte der Menschentraube abspielte.
Wild mit den Armen fuchtelnd, befahl der Bürgermeister Ruhe. Dann fing einer der Reiter an zu berichten. Trotz jeder Bemühung, doch etwas von dem Gespräch aufzufangen, drangen bloß Wortfetzen zu Hilda hinüber. »Friesland … Leichnam … Beweis …«
Die Damen schienen tief erschrocken über das Gesagte, denn sie legten die Hände vor die Münder und begannen sich Luft zuzufächern. Die Herren waren nicht minder betroffen und bekreuzigten sich ein ums andere Mal.
Nach kurzer Zeit zog der
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