Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
bedeutete, wünschte er sich im Stillen. Doch ungeachtet der Traurigkeit über Jordans Tod war Johann Schinkel sich sicher, dass er das Erbe seines Meisters mit Würde fortgeführt und zur Vollendung gebracht hatte. Ja, er durfte stolz sein auf sich – und das war er auch. Nachdem er das Ordeelbook einem Ratsboten übergeben hatte, konnte auch er seine Miene nicht länger beherrschen. Die Begeisterung der Menge riss ihn mit, und so schritt er ausgelassen lachend neben dem Bürgermeister, gefolgt von allen Herren des alten und des sitzenden Rates, die Treppe hinab in die Menge.
Die Bürger bestürmten und beglückwünschten ihre Ehrenmänner überschwänglich, und sie vergaßen auch die Ratsherren nicht. Alle empfangenen Ehren und jede Beglückwünschung bezogen sich nämlich auf jeden einzelnen Mann, der am Ordeelbook mitgearbeitet hatte; so auch auf Conrad.
Dies versprach ein wahrhaft wunderbarer Tag für ihn zu werden. Er fühlte sich großartig. So unendlich lange schon hatte er diese Stunde herbeigesehnt, und nun wollte er sie mit jedem Atemzug genießen. Conrad hatte es tatsächlich geschafft, seinen Namen unsichtbar auf das Ordeelbook zu setzen, und vor allem hatte er es geschafft, seinen verhassten Bruder an diesem Tage aus Hamburg fernzuhalten. Niemals hätte er diesen Ruhm mit einem anderen von Holdenstede teilen wollen. Von diesem Gedanken fast besessen, hatte er Albert vor vielen Wochen auf die aussichtslose und gefährliche Flandernreise geschickt – heute erntete er die Früchte seines Handelns. Obwohl er sich dadurch die Missgunst der früheren Freunde seines Vaters eingeheimst hatte und er derzeit unter der Erpressung seines Schwagers Johannes vom Berge und weiteren ihm unbekannten Feinden stand, fühlte er dennoch Stolz darüber, seinen Willen in dieser einen Sache durchgesetzt zu haben. Wenigstens dieses kleine Gefühl würde er sich von niemandem nehmen lassen; wenn es auch vielleicht das Letzte war, was ihm von seiner Selbstbestimmtheit noch geblieben war.
Auch die Frauen des Hauses von Holdenstede waren zugegen und versuchten, sich wenigstens jetzt, nach der Rede des Bürgermeisters, ihren Weg durch die Menschentraube zum Rathaus zu bahnen. Ragnhild folgte Luburgis, die sichtlich damit zu kämpfen hatte, möglichst würdevoll durch die drängende Menge zu gehen. Sie selbst hatte diese unlösbare Aufgabe bereits verworfen und ließ sich einfach von der schaukelnden Masse hinforttragen. Auch wenn sie von Anfang an wenig Lust auf die Feierlichkeiten gehabt hatte, war sie sich dennoch ihrer Pflicht als weibliche Angehörige einer Rats- und Kaufmannsfamilie bewusst. Also hatte auch sie ihr bestes Kleid hervorgeholt, ihren prunkvollsten Schmuck angelegt und ihre bitteren Ängste um Albert für kurze Zeit beiseitegeschoben. Und tatsächlich, es tat gut, wieder aus dem Haus zu kommen.
Hilda stand mit Runa und Marga am Rand und beobachtete alles aus einiger Entfernung. Sie liebte es, die feinen Damen in ihren wunderschönen Kleidern zu betrachten. Gerne hätte sie selbst auch einmal ein solches Kleid getragen, doch das würde wohl für immer ein Traum bleiben. Für sie gab es nur schlichte Kleider aus einfachen Stoffen in den gedeckten Farben Grau, Braun und Dunkelblau. Der Platz an der Rolandsäule hingegen bot an diesem Tage wahrhaft einen Rausch von Farben. Da es sich nicht um einen christlichen Feiertag handelte, an dem jede Art von Zierrat unerwünscht war, hatten es sich die Damen nicht nehmen lassen, ihr prächtigstes Kleid hervorzuholen und ihren protzigsten Schmuck anzulegen. Wo man auch hinsah, erschien einem funkelnder Zwirn aus leuchtendem Rot und golddurchwirktem Grün vor den Augen. Über den kunstvoll gearbeiteten Unterkleidern lagen langärmelige Cotten mit reichlich verziertem Saum und Ausschnitt. Darüber trugen die Damen entweder verbrämte Tasselmäntel oder Surkote ohne Ärmel, sodass die Verzierungen der Cotte noch zu sehen waren. Alles wurde in der Taille mit einem prunkvollen Gürtel zusammengehalten. Die Kleider waren überlang und mussten beim Gehen gerafft werden, was den Reichtum der Trägerin veranschaulichen sollte. Die Köpfe der Frauen waren mit Schleiern oder Gebende verdeckt. Diese bestanden aus zwei Teilen; der Haube und der Kinnbinde. Zum besseren Halt zierte den Kopf der Trägerin noch ein Schapelring aus Metall oder Stoff, welcher das Tuch wie eine Art Krone festhielt.
Die Männer trugen ebenso farbenfrohe Stoffe wie die feinen Damen. An der Bruche waren die
Weitere Kostenlose Bücher