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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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und mit Johannes teilte, in Vergessenheit zu geraten. Wenn es nach ihnen allen ging, sollte kein Mensch je erfahren, dass die Kinder geraubte Beute waren.
    »Meine Liebe, gedeihen die Zwillinge wohl und prächtig?«, fragte Margareta Cruse, die ebenfalls in der Reichenstraße wohnte.
    »O ja, die Amme kommt kaum mit dem Füttern hinterher, so hungrig sind sie häufig«, lachte Luburgis. »Eines Tages werden sie kräftige Kerle sein, wenn sie so weiteressen. Wie ist es um Eure Kleinen bestellt? Ich hörte, Ihr seid wieder guter Hoffnung?«
    Ein frohes Grinsen machte sich auf Margaretas Gesicht breit. Deutlich waren der unverhohlende Stolz der Schwangeren und der unterschwellige Neid der Nichtschwangeren zu spüren.
    »Ja, da habt Ihr richtig gehört, meine Liebe. Ich denke, dass ich es diesmal sofort gespürt habe. Seither bin ich glücklich wie nie«, gestand die Nachbarin lächelnd.
    »Wie wunderbar«, warf Heseke ein. »Es wurde ja auch wieder Zeit. Eure letzte Schwangerschaft ist schließlich fast drei Jahre her.«
    Das Gespräch zwischen den Frauen plätscherte so dahin. Alle schienen gefesselt von den Erzählungen zu sein. Nur eine von ihnen war mit den Gedanken woanders.
    Es war die braun gelockte Agatha von der Mühlenbrücke, die Frau des Gewandschneiders Voltseco. Sie war stets Ragnhilds heimliche Vertraute gewesen und konnte sich mit den Umständen bis heute nicht abfinden. Noch genau erinnerte sie sich an den Tag, da sie ihrer Freundin beigestanden hatte, als es darum ging, herauszubekommen, wen Ragnhild nach Alberts Verschwinden heiraten sollte. Jetzt lebte sie bei den Beginen-Schwestern, und Agatha musste zugeben, dass dies wohl fast ein Glück für Ragnhild war. Symon von Alevelde war ihrer Meinung nach ein ungehobelter geiler Bock, den keine Dame von Stand gerne ihren Gemahl nennen wollte. Dennoch vermisste sie Ragnhild. Tatsächlich schien Agatha die Einzige unter den anwesenden Damen zu sein, die so empfand. Weder Luburgis noch Heseke noch Margareta oder eine der anderen Ratsherrenfrauen zeigten auch nur das geringste Interesse am Schicksal ihrer einstigen Nachbarin.
    Als sich die Runde auflöste, ging Agatha mit schwerem Herzen nach Hause. Sie nahm sich fest vor, Ragnhild möglichst bald im Kloster zu besuchen.
    »Ich kann nicht erkennen, was du hier den ganzen Tag im Garten getrieben hast, Schwester Ragnhild. Die Erde in diesem Beet hier ist noch immer nicht genug gelockert. Dort drüben habe ich sogar etwas Unkraut gefunden. Während wir hier alle schuften, machst du dir einen arbeitsfreien Tag. Ich denke, das wirst du jetzt alles noch einmal machen müssen. Wenn ich wiederkomme, möchte ich der Magistra schließlich berichten können, dass alles zu ihrer Zufriedenheit erledigt ist.«
    Mit flatternden Röcken verließ Ingrid den Garten und ließ Ragnhild in der Abenddämmerung zurück.
    Jeder Knochen tat ihr bereits weh. Ragnhild war es nicht gewohnt, so lange Zeit kniend zu verweilen – sei es im Gebet oder im Garten. Die blutigen Stellen von gestern waren längst wieder aufgeplatzt und schmerzten heute ganz furchtbar. Doch es blieb ihr keine Wahl. Sie atmete tief durch und machte sich mit einem Kloß im Hals wieder an die Arbeit. Die anfängliche Wut über Ingrids Gemeinheiten war einer resignierten Verzweiflung gewichen. Sie konnte tun, was immer sie wollte, sich mehr und mehr anstrengen, noch länger und noch gründlicher an etwas arbeiten, es war schlicht unmöglich, Ingrids Zufriedenheit zu erlangen.
    Ihre Feindin war geschickt. Niemals maßregelte sie Ragnhild, wenn sonst jemand zugegen war, nur dann, wenn sich alle anderen Schwestern außer Hörweite befanden. Manchmal fragte sich Ragnhild, ob sie diese Demütigungen wirklich ein Leben lang würde ertragen können. Sie hatte es sich leichter vorgestellt. Zu dem ungerechtfertigten Tadel, der harten Arbeit und dem ständigen, stundenlangen Beten kam irgendwann auch noch das Heimweh. Sie vermisste Hilda und Marga, doch am meisten vermisste sie ihre Kinder.
    Immer dann, wenn die Beginen eigentlich für die Genesung der Kranken, das Wohlergehen der Schauenburger Grafen oder für sonst irgendetwas beten sollten, betete Ragnhild heimlich für ihre Kinder. Sie flehte Gott an, dass es ihnen wohlergehen möge und dass Luburgis sie gut behandelte. Sie wünschte sich, eines Tages wieder mit ihnen vereint zu sein, und hoffte, dass die Kinder sie bis dahin nicht vergaßen. Erst wenn sie mit alldem fertig war, ersuchte sie Gott um ihren verloren

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