Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
erfreuten sich an Thiderichs und Alberts aufregenden Geschichten von den Handelsreisen, die sie zusammen bestritten. Doch so bewegt die Erzählungen Thiderichs auch waren, an das Talent Walthers vermochte er nicht heranzureichen.
Schon auf ihrer gemeinsamen Reise, noch bevor die beiden Männer Albert gefunden hatten, war Thiderich aufgefallen, wie fesselnd Walther erzählen konnte. Die lebendigen Worte, mit denen er ihn über den Stedinger Bauernkrieg aufgeklärt hatte, klangen ihm noch immer im Ohr. Damals drängte sich Thiderich der Gedanke auf, an dem jungen Mann sei ein Spielmann verloren gegangen. Nun bemerkten auch andere diese Gabe, und besonders die Frauen und Kinder hingen des Abends regelrecht an seinen Lippen.
Walther nutzte jeden freien Moment, um sich neue Geschichten zu erdenken, nur um sie bei nächster Gelegenheit seiner bereits beachtlich gewachsenen Gruppe von Anhängern zum Besten geben zu können. Er hätte nicht glücklicher sein können als während dieser Stunden.
Man hätte wohl mit Fug und Recht sagen können, dass es Albert sichtlich gut ging. Er hatte ein Haus, Freunde, sein Ansehen, seine Geschäfte; doch all das war nichts im Vergleich zu dem, was er meinte, zuvor besessen zu haben. Niemand ahnte, was er sich wünschte, wenn er des Nachts in seinem Bett lag. Stets wahrte er den äußeren Schein; immer in endgültiger Gewissheit darüber, doch nichts an seinem Schicksal ändern zu können. Denn kein Haus, kein Freund, kein Ansehen und auch kein Geschäft würden Ragnhild zurück in seine Arme bringen, und das wiederum brachte ihn manches Mal fast um den Verstand. Mitunter gelang es ihm, fest zu schlafen, doch häufig lag er auch die ganze Nacht wach, weil ihn die Frage quälte, ob Symon sie vielleicht jetzt gerade bestieg.
Auch wenn er sich niemandem anvertraute, gab es bald kaum einen Besucher mehr in Alberts Hause, der ihn nicht in regelmäßigen Abständen dazu drängte, sich endlich eine neue Braut zu suchen. Selbst das eine oder andere offensichtliche Angebot hatte sich bereits ergeben; doch Albert tat sie alle ab. Freundlich log er die Väter an, indem er ihnen versicherte, ernstlich über deren Vorschläge nachzudenken. Doch der Gedanke, eine andere Frau zu ehelichen, kam ihm immer noch völlig absurd vor. In seinem Herzen war Ragnhild nach wie vor die Einzige für ihn. Sein Verstand allerdings drang mittlerweile immer häufiger zu ihm durch. Er musste es einsehen – Ragnhild gehörte zu Symon von Alevelde, und er selbst sollte zusehen, dass er sich endlich mit den Angeboten der Brautväter beschäftigte, wenn er selbst noch ein paar Erben zeugen wollte. Doch wie sollte er sein Herz überlisten?
Manches Mal hatte er Ragnhild sogar gesehen. Zufällig und immer unbemerkt von ihr; aber stets in Begleitung von Symon. Es schien Albert fast, als ob sie nicht einmal allein zum Abtritt gehen durfte. In der ersten Zeit nach der Hochzeit hatte sie blass und abwesend gewirkt. Den Blick immer tief gesenkt, hinterließ sie den Eindruck, sehr traurig zu sein. Albert konnte sich dann nur mit großer Mühe davon abhalten, zu ihr zu gehen. Ohne dass er es wollte, trug er dieses Bild dann immer so lange in sich, bis er endlich vermochte, sich abzulenken. Dann irgendwann änderte sich ihre Haltung. Noch immer wich ihr Gemahl ihr nicht von der Seite, aber ihr Blick wurde wacher und ihr Gang aufrechter. Hin und wieder scherzte sie sogar mit den Weibern auf dem Markt, und bald war es für jedermann sichtbar – Ragnhild war schwanger!
Obwohl Albert gewusst hatte, dass dies irgendwann passieren würde, traf ihn die Wahrheit härter, als er es je für möglich gehalten hätte. An diesem Abend soff er sich fast besinnungslos. Erst Stunden später fanden ihn Thiderich und Walther in seinem Kontor und schleiften ihn sabbernd, lallend und stinkend in sein Bett. Am nächsten Morgen war sein Herz noch immer schwer, doch sein Kopf war um vieles schwerer. Stundenlang kotzte er sich die Seele aus dem Leib und war unfähig aufzustehen, doch er ließ niemanden zu sich. Es war wie ein endgültiges Abschiednehmen für ihn.
Die folgenden Tage waren geschäftig. Unzählige Besuche bei den verschiedensten Kaufmannsfamilien standen an. Immerzu wurde Albert eingeladen; und es wurde kein Geheimnis daraus gemacht, dass es in den jeweiligen Häusern heiratsfähige junge Frauen gab.
Albert galt mittlerweile als gute Partie. Er war von edler Herkunft, von anmutiger Gestalt und besaß hohes Ansehen unter den Großen
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