Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
gewisse Wesenszüge ausmachen zu können.
Diejenige, die der Vater als seine Jüngste vorgestellt hatte, hieß Alheidis. Sie besaß eine unübersehbare Würde. Obwohl sie gerade aufs Heftigste gemaßregelt worden war, blickte sie freundlich, aber distanziert auf Albert. Ihre Haltung war gerade, und die Hände ruhten gefaltet in ihrem Schoß. Das teure grüne Kleid passte wunderbar zu ihren großen grünen Augen. Albert mochte sie auf Anhieb.
Elizabeth war die zweitälteste der Schwestern. Sie schien sehr zart besaitet zu sein, denn ihre Augen waren noch immer vom Weinen gerötet. Immer wieder schniefte sie, und jedes Mal, wenn der Vater sie daraufhin anschaute, zuckte sie zusammen. Sie war kleiner als ihre Schwestern, und ihre überschlanke Figur ließ ihr kostbares Kleid an ihr hängen wie einen Sack.
Margareta hingegen entblößte als Einzige offen ihre schneeweiße Zahnreihe und lächelte Albert spitzbübisch an. Sie war die Älteste und augenscheinlich bereits ein wenig verzweifelt, weil sie im Alter von zweiundzwanzig Jahren noch immer nicht verheiratet war. Alles an ihr machte deutlich, dass sie Albert wollte – egal wie. Ihre kokette Art, mit ihm zu reden, wurde nur von dem wie zufällig verrutschenden Ausschnitt ihres Kleides übertroffen. Ohne Zweifel war ihr Ziel, Albert wissen zu lassen, was er darunter zu erwarten hatte, wenn er sie auswählen würde.
Nachdem ein paar belanglose Höflichkeiten unter der strengen Aufsicht des Vaters ausgetauscht worden waren, schickte er die Mädchen mitsamt ihrer Mutter wieder nach draußen. Nun kam der Teil, in dem sich Albert und der Brautvater über die Vorzüge der Mädchen unterhalten würden.
Albert wusste bereits einiges über die Familie von Grove. Es handelte sich um eine recht große Sippe, die allerdings noch nicht mit wirklich einflussreichen Verbindungen gesegnet war. Die Eheleute hatten nur einen Sohn und dafür aber drei Töchter. Ganz offensichtlich war keine von ihnen bereits versprochen; und die Zeit drängte.
Das älteste der Mädchen war mit seinen zweiundzwanzig Jahren schon fast nicht mehr vermittelbar, Elizabeth und Alheidis hingegen hatten mit ihren siebzehn und sechzehn Jahren noch Grund zur Hoffnung.
Sofort als Albert allein mit dem Vater war, setzte dieser unbewusst ein flehendes Gesicht auf. Albert spürte das Bangen fast körperlich. Drei Mädchen in gutem Hause unterzubringen konnte einen Mann zwar finanziell ruinieren, doch sie ein Leben lang zu Hause zu behalten war auf jeden Fall schlimmer. Auch wenn mit einer einzigen Hochzeit seine Probleme noch lange nicht gelöst waren, wäre die Vermittlung zu Albert von Holdenstede ein sehr guter Anfang. Der Vater war nicht gewillt, diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen, und machte seinem Gegenüber unmissverständlich klar, dass er bereit war, eine hohe Mitgift an ihn zu zahlen. Bedauerlicherweise konnte er nicht wissen, dass Albert genau darauf keinen großen Wert legte.
»Sagt, Albert von Holdenstede, haben Euch meine Töchter gefallen?«
Vorsichtig antwortete er: »Aber ja, sie sind alle reizend und von großer Schönheit.«
Der Vater war sichtlich geschmeichelt. Sogleich setzte er nach, um das Interesse des Bewerbers nicht schwinden zu lassen. »Gewiss, das ist wahr. Doch sie sind nicht nur schön anzuschauen, sondern auch vortrefflich erzogen. Ihr Wesen ist fügsam und mütterlich, und im Haushalt sind alle drei geschickt. Ihre Handarbeiten fanden bisher schon auf den Altären jeder Pfarrkirche Hamburgs Platz, und außerdem können alle drei lesen und schreiben.«
Albert nickte zwar anerkennend, doch er musste sich ein Lachen verkneifen. Wie fügsam ihr Wesen war, davon zeugten ja ihre rot geschlagenen Wangen. Doch es schreckte Albert nicht ab, eine etwas lebhaftere Gemahlin zu haben. Er konnte nicht verstehen, warum manche Männer es bevorzugten, Frauen zu heiraten, die niemals von selbst sprachen und jede Nacht im Ehebett vor Angst zitterten. Albert wollte eine Frau, die fröhlich war und es verstand, sich im Hause zu behaupten.
Noch während der Vater wortreich über die Vorzüge der drei Mädchen sprach, ging Albert diese noch mal in Gedanken durch. Im Gegensatz zu den Besuchen in den anderen Häusern hatten die wenigen Augenblicke, in denen er der Schwestern ansichtig wurde, ausgereicht, um eine Entscheidung zu fällen. Albert hatte einfach sein Herz sprechen lassen, und so gab es für ihn nicht den geringsten Zweifel, dass er das Richtige tat. Entschlossen
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