Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
klein, um zu verstehen, doch eines Tages würde Ragnhild es ihr erklären.
Sie vermisste ihr kleines mutiges Mädchen sehr. Jeden Tag fragte sich Ragnhild, wie es ihren Kindern wohl ergehen mochte – selbstverständlich erhielt sie niemals eine Antwort darauf. Doch sie ließ es sich nicht nehmen, jede Nacht ein langes Gebet für sie zu sprechen.
Ragnhild konnte nicht wissen, dass ihre kleine Tochter jede Nacht das Gleiche tat.
Gleich mehrere Gründe hatten dazu geführt, dass sich Alheidis sofort nach der Ankunft in ihrem neuen Zuhause auf der Grimm-Insel sehr wohl gefühlt hatte.
Ihr Gemahl Albert war ein gutherziger Mann. Freundlich wurde sie von ihm aufgenommen. Er drängte sie zu nichts; ließ ihr einfach Zeit, sich an ihn und an ihr neues Heim zu gewöhnen. Nach und nach kamen sie sich näher, und sehr bald spürte Alheidis all jene Gefühle, von denen die Minnesänger immer berichteten. So schön hätte sie sich das Leben als Ehefrau niemals vorgestellt. Sie war glücklich!
Die letzten Tage vor ihrer Hochzeit hatte sie es gar nicht mehr erwarten können, endlich aus dem Haus der Eltern zu gehen. Auch wenn sie Vater und Mutter sehr liebte, war ihr Leben nach der Verlobung ein anderes geworden.
Ihre älteste Schwester Margareta war nach dem Besuch Alberts regelrecht rasend vor Eifersucht. Nicht genug damit, dass sich alle ihre bisherigen Bewerber nach einem ersten Kennenlernen für eine andere Braut entschieden hatten; nun bekam auch noch ihre jüngste Schwester vor ihr einen Ehemann. Diese Ungerechtigkeit war für Margareta kaum zu ertragen.
Zusätzlich hatte sie nach dem Besuch Alberts auch noch die Gunst ihres Vaters eingebüßt. Grün und blau wurde sie für ihr ungebührliches Verhalten von ihm geschlagen. Immer wieder schrie er dabei, dass sie niemals einen Mann bekommen würde und er sie deshalb in ein Kloster schicken werde. Als wäre das alles nicht schon genug, fingen die Eltern auch noch an, in den höchsten Tönen über Alheidis zu reden. Ihre Schönheit, ihre damenhafte Zurückhaltung und ihr Liebreiz – alles schien plötzlich der Rede wert zu sein; Margareta fühlte sich zurückgesetzt und elend, und diesen Kummer ließ sie Tag für Tag an Alheidis aus, sobald sie sich unbeobachtet glaubte. Den Ehemann hatte das Biest ihr gestohlen, und dafür sollte sie büßen! Wenigstens so lange, wie sie noch im Hause der Eltern war.
Alheidis ertrug die Zeit bis zur Hochzeit mit zusammengebissenen Zähnen. Schon immer hatte es Streit zwischen den Schwestern gegeben. Zu verschieden waren ihre Wesen ab dem Tag ihrer Geburt und zu groß die Konkurrenz, die von den anderen beiden ausging. Seit sie dem Kleinkindalter entwachsen waren, gab es für sie irgendwann nur noch das eine Thema – Heiraten –, und um einen Mann zu bekommen, war vor allem Margareta alles recht. Ihre Eltern hatten dieses Verhalten geschürt, indem sie ihnen seit frühester Zeit eingebläut hatten, dass nur Nonnen und Witwen achtenswerte Frauen waren – und natürlich die Verheirateten. So fieberten sie alle ihrer künftigen Ehe mit größter Ungeduld entgegen und beteten jeden Abend um einen Gemahl.
Als der Tag ihrer Hochzeit endlich gekommen war, fühlte sich Alheidis großartig. Sie war im besten Alter, würde Herrin über ein großes Haus werden und bekam einen Ehemann, um den sie von allen unverheirateten Frauen Hamburgs beneidet wurde. Viele Damen waren gekommen, um sie herzurichten. Ihr Haar, ihre Haube, ihr Kleid, alles war so wunderschön und ließ sie sich fühlen wie eine Königin. Sie verspürte keine Angst darüber, ihr Elternhaus zu verlassen, oder gar vor der Hochzeitsnacht. Alles würde so kommen, wie es kommen sollte – sie vertraute einfach auf Gott.
Die Hochzeitsfeier auf der Grimm-Insel war herrlich, wenn auch schlicht und bloß im kleinen Kreis der beiden Familien. Die Brautmutter weinte eigentlich den ganzen Tag. Um ihr den Abschied etwas zu erleichtern, versprach Alheidis, sie regelmäßig zu besuchen.
Erst spät am Abend hatten sich die Brautleute, begleitet von einigen anzüglichen Witzen von Thiderich und Walther und den Glückwünschen der Frauen für ein gutes Gelingen, vom Fest entfernt, um ihre erste gemeinsame Nacht zu verbringen.
Albert bat Alheidis, ihr beim Ausziehen zusehen zu dürfen, und sie gewährte ihm den Wunsch ohne jede Scheu. Daraufhin hatte sie die vielen Schnüre ihres Kleides mit geschickten Fingern geöffnet und den schimmernden Stoff einfach von ihrem schlanken Körper zu
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