Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
das meine, und seine Augen strahlen in einem so herrlichen Blau, dass ich fast nicht hineinschauen kann. Versteht Ihr, was ich meine, Mütterchen?«
Runa erinnerte sich. Sein Anblick hatte sie sogleich verzaubert. Auch wenn alles an ihm die gleiche Würde und Erhabenheit ausstrahlte, die allen Ratsherren anzuhaften schien, hatte sie schon bei ihrer ersten Begegnung etwas Besonderes an ihm entdeckt. Etwas, was sie bei den anderen hohen Würdenträgern der Stadt nicht zu sehen vermochte. Es war irgendwas in seinem Blick, was sie sofort eine gewisse Vertrautheit hatte spüren lassen und sie eines Tages, als sie sich das unzähligste Mal auf den Straßen begegnet waren, lächeln ließ. Johann hatte zurückgelächelt. Obwohl es ein verbotenes Lächeln zwischen zwei Ungleichen war, gewann es mit jedem Mal an Breite. Irgendwann wurde das Lächeln von einer gewissen Gesichtsröte begleitet, was Runa dazu veranlasste, immer schnell den Blick zu senken, um ihre verbotenen Gefühle nicht zu verraten. Dann, als viele Wochen mit diesem Spiel verstrichen waren, kam der Tag, da er sie einfach ansprach. Leise fragte er sie beim Vorbeigehen nach ihrem Namen. Runa! Er hatte ihren Namen mit seiner wohlklingenden Stimme wiederholt und ihr dabei ganz tief in die Augen geblickt.
»Diese Augen, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was sie mit mir machen, Mütterchen«, lachte Runa und wrang das Leinentuch mit einem plätschernden Geräusch über der Waschschüssel aus. »Wollt Ihr wissen, wie unser erstes heimliches Treffen zustande gekommen ist? Ich erzähle es Euch«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihr. Eine ganze Weile lang war bloß das Plätschern des Wassers zu hören. Runa war wieder in Gedanken versunken und fühlte sich an den Tag zurückversetzt, da sie sich zum ersten Mal trafen. Zu dieser Zeit konnte sie den Weg zum Heiligen-Geist-Hospital kaum mehr zurücklegen, ohne innerlich vor Aufregung zu beben. Bereits aus einiger Entfernung hatten sie einander erkannt. Zu lange war der Gang des einen von dem anderen beobachtet worden, als dass er sie nicht schon von Weitem verriet. Tatsächlich waren sie dieses eine Mal für einen kleinen Moment allein auf der Straße, und so flüsterte er ihr die Beschreibung eines Ortes zu. Runa war in diesem Moment nicht mehr in der Lage, klar zu denken, geschweige denn zu antworten. Ein winziges Nicken nur zeugte von ihrer Zustimmung. Daraufhin hatte sie die Krankenpflege in einer unwahrscheinlichen Eile abgeleistet. Vollkommen entrückt kümmerte sie sich um Wunden, sprach Gebete und wusch die siechenden Körper, bis sie endlich zu dem Ort hasten konnte, den Johann ihr genannt hatte.
Sie fand ihn nicht auf Anhieb, denn nur eine winzige, leicht zu übersehende Gasse führte dorthin. Doch als sie endlich davorstand, hatte sie keinen Zweifel. Das musste es sein!
»Wir trafen uns heimlich in einem kleinen Haus. Ich sage Euch, es ist mit Sicherheit das kleinste Haus, das ich je gesehen habe. Es steht zwischen zwei weit größeren Häusern und wirkt fast, als würde es von ihnen auf die Hälfte seiner eigentlichen Breite zusammengedrückt. Die Balken weisen überall lange Risse auf und sind schon ganz schief, weshalb sich die Tür nur noch schwer öffnen lässt. Sie ist gerade eben hoch genug, um aufrecht hindurchzugehen – jedenfalls für mich.« Runa lachte leise und dachte daran, wie Johann sich schon einige Male schmerzhaft den Kopf an dem oberen Türbalken gestoßen hatte. »Sicher denkt Ihr gerade, dass dies nicht nach einem gemütlichen Ort für ein erstes Treffen klingt, oder, Mütterchen? Aber ich kann Euch versichern, dass dieses Haus mir vorkam wie das Paradies selbst. Nirgendwo wäre ich in diesem Augenblick lieber gewesen.«
Runa bemerkte nicht, dass sie schon seit geraumer Zeit bloß den rechten Arm der Alten wusch. Sie hatte sich auf die Bettkante gesetzt und starrte in Gedanken versunken in die Luft. Sie war nun wieder in dem Haus und erinnerte sich an dieses erste Treffen. Unsicher war sie eingetreten. Was tat sie hier bloß, hatte sie sich im Stillen gefragt. Für einen kurzen Moment hatte sie sogar in Erwägung gezogen, wieder zu gehen. Doch ihre Neugier und Erregung waren stärker gewesen, und so zog sie die Tür leise hinter sich zu. Im Inneren war es dunkel gewesen. Nur ein paar Schlitze der rissigen Außenwand ließen die Sonne herein. Staubflocken tanzten in den Lichtstrahlen herum. Es war still. Runa vernahm den Geruch des alten Holzes. Sie mochte diesen Duft und
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