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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Vernunft gleich mit. Hemmungslos wollte sie sich so lange an ihm sattsehen, bis sie meinte, alle Einzelheiten in sich aufgesaugt zu haben. Doch plötzlich wurde das schöne Bild gestört.
    Zarte Frauenhände hielten Albert die Augen von hinten zu. Er lachte augenblicklich und nahm die Hände von seinem Gesicht, um sie gleich danach einzeln zu küssen. Es waren die Hände Alheidis’, die sich einen hübschen grünen Stoff um den Kopf gelegt hatte. Kokett wand sie sich vor ihrem Gemahl hin und her, legte sich den Stoff darauf um die Schultern, dann um die Hüfte und sah bittend zu ihm auf. Bei dieser Bewegung war deutlich zu erkennen, dass ihr Bauch eine enorme Wölbung aufwies. Sie war wieder schwanger – von Albert!
    Dieser Anblick versetzte Ragnhilds Herz einen Stich, und sie musste mit sich kämpfen, nicht seinen Namen zu rufen. Sie wollte gehen, doch sie konnte es einfach nicht.
    Noch immer hatte er sie nicht bemerkt. Ganz offensichtlich musste Alheidis nicht viel Überredungskunst anwenden, bis er sich von ihr zu dem Stoffhändler ziehen ließ. Er lachte über ihr kindisches Betteln, doch zückte sogleich seinen Geldbeutel.
    Als wäre dieses augenscheinliche Glück noch nicht schmerzlich genug für Ragnhild, sah sie nun hinter Alheidis auch noch deren Ebenbild stehen. Die kleine Margareta, die nach ihrer Großmutter benannt worden war, glich ihrer Mutter vom Scheitel bis zur Sohle. Sie hatte dasselbe feuerrote Haar, die gleichen grünen Augen und das ganze Gesicht voller niedlicher Sommersprossen. Herzlich strich Albert seiner Tochter über den Kopf.
    Ragnhild war wie gebannt von der Szenerie. Neid und Sehnsucht keimten gleichsam in ihr auf und legten sich über ihr Gemüt wie ein schwarzer Schleier. Ein Kloß in ihrem Halse erschwerte ihr das Atmen. Immer wieder hallte eine Frage in ihrem Kopf: Warum kann nicht sie diese Frau an Alberts Seite sein?
    Plötzlich wurde sie ohne Vorwarnung am Arm gepackt und herumgerissen. Ragnhild war so erschrocken, dass ihr ein Laut des Erstaunens entfuhr. Sie hatte kaum einen Moment, um sich wieder zu fangen, als sie in das hasserfüllte Gesicht ihres Stiefsohnes, Jacob von Alevelde, schaute.
    Auch wenn er bereits seit Jahren verheiratet war und ebenso lange ein eigenes Haus bewohnte, hatte er ihr trotzdem noch immer nicht verziehen, dass er durch sie damals um seine versprochene Braut gekommen war. Schon häufig hatte Ragnhild die Verachtung des Dreiundzwanzigjährigen zu spüren bekommen, doch heute war es tatsächlich das erste Mal, dass er auch wirklich eine Handhabe gegen sie hatte. Er kannte die Regeln seines Vaters genau, und Ragnhild wurde von ihm auf frischer Tat ertappt.
    »Was treibst du dich hier allein auf den Straßen herum, Weib? Wo sind mein Vater oder die Magd?«
    Ragnhild wollte zwar etwas antworten, doch sie wusste nicht, was. Tatsächlich hatte sie keine Erklärung, warum sie allein unterwegs war.
    Dann tat er das, was Ragnhild unbedingt hatte verhindern wollen. Er schaute in die Richtung, in die sie die ganze Zeit so gebannt gestarrt hatte; und er erblickte Albert! Einerseits fassungslos über ihre Dreistigkeit und andererseits sichtlich erfreut darüber, endlich einen wahren Grund zu haben, um sich bei seinem Vater über ihr Verhalten zu beklagen, lachte er höhnisch auf. »Sieh mal einer an, das Weib schleicht sich wie eine geile Hure aus dem Haus, um sich an dem Anblick ihres früheren Gemahls zu laben.« Jacob packte ihren Arm noch fester und drückte sie rücklings gegen eine Häuserwand. Er kam so nah an ihr Gesicht heran, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Mit einem boshaften Unterton sagte er zu ihr: »Es wird mir eine wahre Freude sein, dich nun persönlich in das Haus meines Vaters zu begleiten, liebste Stiefmutter.« Dann stapfte Jacob ohne Vorwarnung los und zog sie grob hinter sich her. Ragnhilds Körper durchfuhr ein heftiger Ruck, und sie musste sich bemühen, nicht zu stürzen. Zum unzähligsten Male verfluchte Ragnhild ihre Röcke, die, nach der Mode der edlen Frauen geschneidert, viel zu lang ausfielen, um den Reichtum der Trägerin anzuzeigen. Sie hatte nicht die geringste Möglichkeit, sie zu raffen, um nicht zu stolpern, geschweige denn, sich aus dem Griff ihres Stiefsohnes zu befreien. Der fette kleine Junge von einst war nämlich zu einem Baum von einem Mann herangereift, und seine Kräfte überstiegen ihre bei Weitem.
    Völlig unerwartet blieb Jacob mit einem Mal stehen. Ragnhild konnte nichts sehen, da sie hinter Jacob

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