Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
dahinter, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Runa mit Absicht von mir fernhält«, stimmte Ragnhild ihrer Freundin zu. »Ausgerechnet jetzt. Es hatte doch gerade erst angefangen.«
»Du meinst, die Treffen mit Runa? Aber ihr seht euch doch schon eine ganze Weile«, fragte Agatha verwundert, während sie die Becher nochmals füllte.
Ragnhild nickte etwas betrübt und sagte: »Das stimmt zwar, aber wir haben auch eine Menge aufzuholen. Du darfst nicht vergessen, dass wir uns eine ziemlich lange Zeit gar nicht gesehen haben. Vor vierzehn Jahren haben Conrad und Luburgis meinem Kind jedweden Kontakt mit mir verboten, und später dann war es Symon, der mich bloß in Begleitung aus dem Haus ließ. Als ich dann nach Runas Eintritt ins Kloster vor vier Jahren angefangen habe, sie heimlich zu besuchen, wussten wir beide zunächst nicht so recht, wie wir miteinander umgehen sollten. Es hat fast drei Jahre und viele Besuche lang gedauert, bis wieder eine Vertrautheit zwischen uns entstanden ist, wie sie bei Mutter und Tochter üblich ist.«
Agatha musste zugeben, dass sie darüber nicht nachgedacht hatte. Erst jetzt, wo Ragnhild es aussprach, fiel ihr auf, wie schwer diese Zeit für ihre Freundin gewesen sein musste. »Wie hast du das hinbekommen? Euch fehlen tatsächlich so unendlich viele Jahre«, bemerkte Agatha schwermütig.
»So genau weiß ich es auch nicht. Ich war einfach fest entschlossen, die verlorene Zeit mit meiner Tochter wieder aufzuholen. Darum wollte ich bei unseren Treffen auch keine falschen Höflichkeiten und keine Unwahrheiten zwischen uns wissen – ich wollte einfach das kleine Mädchen wiederhaben, welches ich damals zurücklassen musste, verstehst du das? Und darum habe ich ihr alles erzählt; die ganze Wahrheit. Ich erzählte ihr von Conrads unbändigem Hass auf ihren Vater und von den Umständen, die ihn damals nach Flandern gezwungen haben. Dann berichtete ich ihr von der Zeit seines vermeintlichen Todes und von den Verstrickungen, die mich selbst damals ins Kloster gebracht haben. Und da sie heute eine Frau und kein Kind mehr ist, habe ich ihr auch davon erzählt, dass du und ich sie damals vor einer Ehe mit Jacob von Alevelde bewahrt haben.«
»Du hast … nicht wirklich!«
»Sehr wohl, ich habe ihr erzählt, wie du mich damals in der Kirche St. Jabcobi mit einer List von den Absichten Conrads in Kenntnis gesetzt hast, und auch, dass ich nur deshalb, um ihr dieses Schicksal zu ersparen, freiwillig um eine Vermählung mit Symon gebeten habe. Das alles habe ich ihr gesagt. Runa war dankbar für meine Ehrlichkeit und ließ irgendwann tatsächlich zu, dass wir uns wieder näherkamen. Ich sage dir, wir beide waren das letzte Jahr lang überglücklich, einander zu haben – schließlich sind wir beide auf unsere Art einsam.«
»Wie recht du hast, liebe Freundin«, pflichtete Agatha ihr bei.
»Auch ich wusste so vieles nicht. Runa ist es bei Conrad und Luburgis nicht gerade gut ergangen. Zwar hat sie den bösen Einflüsterungen ihrer Stiefmutter über ihre verdorbene dänische Mutter niemals Glauben geschenkt, doch als sie damals hörte, dass ich ein Kind mit Symon bekommen hatte, fing sie irgendwann an zu glauben, dass ich dieses Kind vielleicht mehr lieben könnte und sie selbst in Vergessenheit geraten würde. Sie sagte mir, dass sie sich damals damit abgefunden hatte, vollkommen allein zu sein.«
Als Ragnhild ihre Erzählung beendet hatte, bemerkte sie, dass ihre Freundin weinte. »O nein, nicht doch. Weine nicht. Jetzt ist doch wieder alles gut.«
»Nein, nichts ist gut. Ingrid hält Runa wie eine Gefangene. Es ist so ungerecht, dass sie für etwas büßen muss, was sie nicht verschuldet hat«, schluchzte die Schneidersfrau.
Ragnhild streichelte Agathas Schultern. Leider musste sie ihr recht geben. Runa büßte heute für Alberts und ihren Fehltritt. Das schmerzte sehr. Und nun sollte auch noch dieses verspätete Glück zwischen Mutter und Tochter durch Ingrids boshaften Plan ein Ende finden. Fast schien es, als sei Mutter und Tochter ein gemeinsames Leben nicht bestimmt.
Agatha wusste einen Moment nichts zu sagen. Es war kein betretenes Schweigen – hervorgerufen durch etwas Peinliches, das man vernommen hatte. Vielmehr war es ein gemeinsames Schweigen, das auf dem Bewusstsein über die vielen Schrecklichkeiten, die Ragnhild und Runa hatten ertragen müssen, fußte.
Auch Ragnhild schwieg. Sie erinnerte sich nicht gern zurück an diese Zeit. Zu viele Tränen waren geflossen. Doch
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