Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
lange saßen wir nicht mehr so in meinem Hause zusammen, meine Liebe?«, fragte Agatha mit einem sehnsüchtigen Blick und gab sich selbst die Antwort: »Eines steht fest, auf jeden Fall viel zu lange.«
Ragnhild griff nach Agathas Hand und drückte sie. »Du hast ja so recht. Unzählige Male schon hatte ich das dringende Bedürfnis, dich zu treffen, aber du weißt ja, wie Symon ist.«
Nun drückte Agatha die Hand ihrer Freundin. »Lässt er dich noch immer nicht allein hinausgehen? Und das nach all den Jahren?«, fragte sie kopfschüttelnd.
»Nein. Er ist wie besessen von dem Gedanken, dass ich zu … na ja … du weißt schon … in die Arme eines anderen Mannes rennen könnte.« Ragnhild wagte es nicht, Alberts Namen auszusprechen. Zu heftig war der Schmerz, der sie noch immer durchzuckte, sobald sie ihn nannte. Irgendwann hatte sie einfach aufgehört, seinen Namen zu benutzen; selbst dann, wenn sie für ihn betete. »Obwohl Symon in den vergangenen vierzehn Jahren niemals einen Grund des Tadels an mir hatte finden können, lässt er mich im Hause ständig von dieser übellaunigen Grit bewachen. Wenn es nicht gerade der Gang zur Kirche ist, besteht er noch immer darauf, dass sie mich überallhin begleitet. Ständig muss ich mir irgendwelche Geschichten einfallen lassen, um ihn zu überlisten und doch mal kurz allein sein zu können, und vor allem, um Runa besuchen zu können.« Ragnhild hasste dieses Spielchen, doch nur so konnte sie regelmäßig bei ihrer Tochter sein. Symon hätte nie zugelassen, dass sie das Kind eines anderen Mannes besuchte. Die Gefahr, eines Tages von Grit oder Symon erwischt zu werden, war groß, doch sie nahm es in Kauf – Runa zuliebe. »Ich hatte immer gehofft, dass es aufhören würde, sobald ich ihm Kinder gebäre, doch nach unseren beiden Knaben ist es fast noch schlimmer geworden.«
»Meine Liebe, es tut mir so leid für dich. Doch sieh nur, eine jede von uns Ehefrauen hat ihr Säcklein zu tragen. Ich kann vielleicht gehen, wohin es mir beliebt, doch weiß ich, dass Voltseco den Damen unserer Stadt nicht abgeneigt ist. Ständig werden mir Geschichten von Leuten zugetragen, die ihn hier und da mit irgendwelchen Dirnen gesehen haben wollen. Das ist auch nicht immer leicht für mich.«
Auch wenn die Anlässe ihrer Gespräche eher traurig waren, fühlen beide Frauen dennoch, wie gut es tat, sich endlich einmal alles von der Seele zu reden.
Ragnhild hatte Agatha bis zu diesem Tage tatsächlich immer beneidet, doch die Worte ihr Freundin Agatha belehrten sie. Nicht nur sie selbst ertrug Ungerechtigkeit. Es musste schlimm sein zu sehen, wie der Mann, den man liebte, sich anderen Damen zuwandte. Auch Ragnhild hatte schon hier und da so manche Geschichte über Voltseco gehört, doch sie hätte Agatha niemals darauf angesprochen. Dass ihre Freundin dies nun von selbst tat, konnte nur bedeuten, dass es ihr mittlerweile schwer auf der Seele lastete. Sie hatte recht; eine jede Ehefrau hat ihr Leid zu tragen. Sie selbst sollte sich nicht immerzu beklagen. Schließlich ging es ihr eigentlich gut. Sie wurde weder von Symon geschlagen, noch musste sie Hunger leiden. Sie war eine ehrbare Frau mit zwei Söhnen von dreizehn und zehn Jahren, und sie trug gute Kleidung. Doch wie konnte eine Frau, die einmal die wahre Liebe erfahren hatte, sich mit den schönsten Kleidern und den köstlichsten Speisen zufriedengeben? Einfach nichts von dem, was sie hatte, vermochte ihren Hunger nach echter Liebe zu stillen. Es war dieser unstillbare Hunger nach Albert – ein törichter Wunsch, welcher auch in den vergangenen Jahren nicht vollständig verschwunden war –, doch hatte Ragnhild es wenigstens geschafft, ihn tief in sich zu vergraben.
Die Frauen wechselten das Thema, und Agatha fragte Ragnhild nach Runa. Leider waren auch diese Neuigkeiten nicht besonders erfreulich, wie die Schneidersfrau wenig später feststellen musste. »Wie geht es Runa? Ich schätze, du kommst gerade vom Kloster, richtig?«
»Ach, Agatha«, seufzte Ragnhild schwer. »Leider komme ich heute nicht aus dem Kloster. Ich wurde an seinen Toren abgewiesen.«
Agatha schaute ihre Freundin verwundert an. »Was soll das heißen? Ich verstehe nicht.«
»Selbst ich verstehe es nicht. Jedenfalls nicht so richtig. Aber eine Vermutung habe ich bereits.«
»Ingrid!«, stieß Agatha abfällig aus, die sich noch sehr gut an die Ursprünge der Feindschaft zwischen ihrer Freundin und der heutigen Magistra erinnern konnte.
»Ja, Ingrid steckt
Weitere Kostenlose Bücher