Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
stand und er sie mindestens um eine Haupteslänge überragte.
»Lasst sie los!«, befahl eine Männerstimme streng.
Ragnhild erkannte sofort, wem die Stimme gehörte. Es war Alberts Stimme! Er kam ihr zu Hilfe! Ragnhild wusste nicht, wie ihr geschah.
Jacob jedoch ließ sich nicht im Geringsten von seinem Gegenüber einschüchtern. Angriffslustig zischte er: »Das geht Euch nichts an, von Holdenstede. Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten. Diese Angelegenheit hier ist die meines Vaters – ihres Gemahls. Es liegt in seiner Hand, sie zu bestrafen, wenn sie sich wie eine willige Stute aufführt.«
Albert trat noch immer nicht beiseite, doch er wusste, dass Jacob recht hatte. Es gab nichts, das er tun konnte, um Ragnhild zu helfen. Drohend ging er noch einen Schritt auf Jacob zu und sagte so leise, dass es keiner außer ihnen dreien hören konnte: »Krümmt Ihr Ragnhild auch nur ein Haar, so werdet Ihr es eines Tages bitter bereuen!« Dann ging er, ohne weitere Worte und ohne einen Blick auf Ragnhild zu werfen, zurück zu Alheidis und Margareta, die noch immer mit den bunten Stoffen beschäftigt waren und von dem Zwischenfall nichts mitbekommen hatten.
Jacobs Freude über die Entdeckung seiner Stiefmutter bei einer frevelhaften Tat wurde durch Alberts Drohung merklich geschmälert. Noch gröber als zuvor zerrte er Ragnhild weiter bis in die Niedernstraße. Dort wartete sein Vater bereits voller Wut auf seine Gemahlin. Jacob stieß seine Stiefmutter so kräftig in die Wohnstube, dass sie genau vor die Füße ihres Ehemannes fiel.
In dieser Position verharrte sie so lange, bis Jacob seine vollkommen überspitzte Geschichte über ihr Fehlverhalten auf dem Markt beendet hatte.
»Vater, ich habe dein Weib auf dem Markt eingesammelt, als sie gerade dabei war, ihrem früheren Gemahl nachzustellen. Wie eine Hure hat sie ihn angestarrt. Wäre ich etwas später gekommen, hätte sie ihn wahrscheinlich auf offener Straße verführt. Ich habe es dir schon immer gesagt, Vater. Du bist zu nachlässig mit ihr. Und nun hast du den Beweis. Du solltest sie züchtigen.«
Ragnhild wagte es nicht, aufzustehen oder ihren Gemahl auch nur anzublicken, denn sie konnte seine Wut regelrecht fühlen. Selbst mit gesenktem Haupt meinte sie, seinen Gesichtsausdruck vor Augen zu haben.
Symon hörte sich jedes Wort seines Sohnes genau an, und mit jeder Silbe wuchs sein Zorn. Allein die Vorstellung, von seinem Weib noch einmal so gedemütigt zu werden wie am Tage seiner Hochzeit, da sie in Alberts Arme laufen wollte, hatte ihn in der Vergangenheit fast um den Verstand gebracht. Doch nun war es tatsächlich geschehen. »Steh auf!«, befahl er schließlich mit bebender Stimme.
Ragnhild tat, was er wünschte, und stand auf. Ihre Knie waren jedoch so weich, dass sie fürchtete, nicht mehr lange von ihnen getragen zu werden. Ihr Blick heftete sich starr auf den Boden. Sie hatte Angst.
»Schau mir ins Gesicht, du liederliches Weibsbild.«
Auch das tat Ragnhild umgehend, doch der Blick ihres Gemahls ließ sie noch mehr erschaudern.
»Ich habe also doch recht behalten«, sagte Symon mit einer Mischung aus Enttäuschung und Hass. Er blickte seine Frau an, als wäre sie ein fauliges Stück Obst. »In der Vergangenheit waren mir so manches Mal sogar Zweifel gekommen, ob mein Misstrauen begründet war, aber irgendetwas in mir hatte mich stets glauben lassen, mit meinen Vermutungen richtigzuliegen. Ich habe es gewusst, tief in mir habe ich es immer gewusst, du würdest es wieder tun, und nun bringt mir ausgerechnet mein Sohn den Beweis. Du hast mich erniedrigt! Erneut! Doch dafür wirst du bezahlen, Ragnhild!« Alles an ihm machte deutlich, dass er der Raserei nahe war. Seine Augen waren weit aufgerissen und sein Körper verkrampft. Noch schrie er nicht, doch das sollte sich bald ändern. »Was war ich doch für ein Narr. Du wirst dieses Haus niemals mehr allein verlassen«, sagte er noch ruhig, bevor der Sturm losbrach. Außer sich vor Zorn zerrte er sein Weib an Armen, Beinen, der Kleidung und den Haaren hinauf in ihre Schlafkammer. Erst hier fing er an zu schreien. Eine ganze Weile lang dachte Ragnhild, dass es dabei bleiben würde, doch sie hatte sich geirrt. Symons verletzter Stolz trieb ihn regelrecht zu Höchstleistungen an, und erst als er vor lauter Anstrengung kaum noch Luft bekam, stoppte die Salve von Fausthieben und Gürtelschlägen, und er ließ von ihr ab.
Ragnhild hielt während der ganzen Zeit ihre Hände schützend über ihren Kopf,
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