Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
trat. Albert sprang auf. Er wollte etwas sagen, doch als er Avas Blick auffing, erstarb jeder Ton auf seinen Lippen.
»Alheidis ist tot«, waren ihre ersten Worte. Von den Strapazen der Nacht sichtlich gezeichnet, fiel es ihr schwer zu erzählen, was passiert war. Mit dem Handrücken wischte sie sich die schweißnassen Haarsträhnen von der Stirn, die sich aus ihrer Haube gelöst hatten. Dann hob sie den erschöpften Blick in Richtung Albert und sagte: »Das Kind lag verkehrt herum im Bauch. Die Amme hat noch versucht es zu drehen, doch die Nabelschnur hatte sich um den kleinen Körper gelegt und dem Säugling die Luft genommen. Alheidis verlor die ganze Zeit über viel Blut. Auch nachdem das Kind geboren war, wollte es nicht aufhören zu fließen. Es tut mir so leid!«
Die darauffolgende Stunde verlief still. Das ganze Haus schien in tiefer Trauer erstarrt zu sein, doch jeder trauerte für sich. Alle wussten, dass Alheidis’ ansteckend frohes Wesen ihnen ebenso fehlen würde wie das sehnsüchtig erwartete Kindergeschrei, das nun für immer ausbleiben würde.
Nicht nur Albert und seine Tochter waren zunächst wie besinnungslos, sondern tatsächlich alle, die Alheidis gekannt hatten. Es gab niemanden, der Alberts Gemahlin nicht gemocht hatte, doch Albert selbst durchlitt die schrecklichsten Qualen, die sich etwa eine Stunde nach Alheidis’ Ableben unerwartet Bahn brachen.
Es nahm Anfang in seinem Kontor, wo er wie von Sinnen zu toben begann, bis alles, was sich irgendwie anheben und werfen ließ, zerbrochen war. Er schrie und zürnte Gott mit so heftigen Worten, dass sie niemals ein Geistlicher hören dürfte. Dann stürmte er zu Alheidis in die Kammer und schickte die Frauen mit wüstem Gebrüll nach draußen, die gerade die Tote für den Geistlichen herrichteten. Wein sollten sie ihm bringen, donnerte er ihnen aus voller Kehle nach, und niemandem von ihrem Tod berichten, bis er es bestimmte. Keiner sollte Alheidis aus seinem Haus wegbringen, bevor er sich nicht für immer von ihr verabschiedet hatte – ganz gleich, wie lange das dauern mochte.
Hier kniete er nun. Allein an ihrer Bettkante, die Hände um ein Stück ihres Kleides gekrallt, welches er vor sein Gesicht presste, und weinte hemmungslos.
»Warum musstest du gehen, Alheidis? Warum jetzt und warum auf diese Weise?«, schluchzte er. »Wie soll ich dir nun all das sagen, was ich noch in meinem Herzen trage? Ich wollte dich um Verzeihung bitten. So oft habe ich es gewollt, doch ich war zu feige. Was bin ich doch für ein elender Bastard!«
Albert war so sehr von Kummer geplagt, dass er sich seiner Tränen und Worte nicht schämte. Es war ihm gleich, wer ihn hören konnte. Sollte die Welt doch wissen, dass er Alheidis Unrecht getan hatte – vielleicht würde seine Schuld dadurch ein wenig gesühnt.
Nach einer Weile öffnete sich die Tür. Still und leise trat Margareta ein. Sie brachte den gewünschten Wein. Auch ihr liefen die Tränen. Beim Anblick ihrer Eltern fühlte sie sich unendlich hilflos. Niemals hatte sie ihren Vater zuvor weinen sehen. Ihre Mutter lag mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen auf dem Bett. Sie sah aus, als würde sie schlafen und im nächsten Moment erwachen, doch der Schein trog. Margareta verließ die Kammer wieder, als sie spürte, dass sie störte. Sie war die Letzte, die in den nächsten vierundzwanzig Stunden durch diese Tür trat.
Albert weinte noch bis spät in die Nacht. Er machte sich Vorwürfe. Sosehr er auch versuchte, die Dämonen der Vergangenheit zu verdrängen, seine Gedanken mündeten immer an demselben Punkt. War Alheidis’ Tod die gerechte Strafe Gottes für seine nicht enden wollenden Gefühle Ragnhild gegenüber? Konnte er sich deswegen überhaupt Vorwürfe machen? Hatte er nicht stets versucht, Ragnhild zu vergessen und Alheidis zu lieben?
Immer wieder stiegen die Tränen in ihm auf. Abwechselnd empfand er Trauer und eine unbändige Wut. »Warum bestrafst du sie?«, schrie er vollkommen außer sich gen Himmel. »Ich bin derjenige, den du mit Schmerz und Tod schlagen solltest, nicht sie!« Dann war sein Zorn wieder verraucht, und er gab sich erneut seiner Trauer hin. Heulend legte er sich neben Alheidis ins Bett und schlang seine Arme um sie. Während er sein tränennasses Gesicht an ihre Schulter drückte, wiederholte er immer wieder die Worte: »Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Es tut mir so leid!«
Die Wahrheit quälte ihn noch Stunden. Sie trug keine Schuld an seinen mangelnden
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