Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
umso mehr nahe sein.
Johann kam dieser stummen Bitte dankbar nach und schlang seine Arme noch fester um sie. Er wollte, dass sie weitererzählte, doch er hatte auch Angst, sie zu verletzen. Vorsichtig stellte er darum seine nächste Frage. »Weißt du denn, was deine Mutter damals dazu gebracht hat, Symon von Alevelde vor dem Rat um die Ehe zu bitten?«
»Ja, ich weiß es, mein Liebster. Ich, Mutter und vielleicht niemand sonst. Mir ist bewusst, dass alle Hamburger damals dachten, dass sie nicht wirklich in Trauer sei – selbst Vater war dieser Meinung –, und ich musste Mutter versprechen, ihm nichts über die Wahrheit zu sagen. Aber dir werde ich es jetzt erzählen.« Nach diesen Worten löste sie sich sanft aus seiner Umarmung und schaute ihm ins Gesicht. Dann nahm sie seine Hände, um etwas zu haben, an dem sie sich festhalten konnte, und sagte: »Ich weiß, dass viele meine Mutter für die von ihr selbst angestrebte Hochzeit mit Symon von Alevelde verurteilt haben, aber sie hat es aus Liebe getan.«
»Aus Liebe?«, fragte Johann mit gerunzelter Stirn. »Wie soll ich das verstehen? Sie liebte deinen Vater und …«
»Nicht aus Liebe zu Vater, sondern aus Liebe zu mir. Durch eine List ihrer Freundin Agatha hat sie während ihrer Klosterzeit herausbekommen, dass Symon von Alevelde über die geplatzte Heirat mit ihr so erbost gewesen war, dass er zu Conrad gegangen ist und eine Entschädigung gefordert hatte. Conrad hatte ihm daraufhin eine Braut für seinen Sohn versprochen – und diese Braut war ich.«
»Ist das dein Ernst? Conrad hat dich diesem Jacob von Alevelde versprochen, obwohl du erst … vier Jahre alt warst?«
»Ganz recht. So war es. Verstehst du nun? Mutter hat versucht mich vor der Ehe mit Jacob von Alevelde zu bewahren, indem sie auf dem Audienztag der Stadterbeansprüche um Symons Hand angehalten hat. Für einen kurzen Moment lang hatte sie Conrad damals überlistet – und dennoch verlor sie schlussendlich gegen ihn. Denn als Vater doch noch nach Hamburg zurückkehrte, waren wir Kinder bereits Conrad und Luburgis zugesprochen worden, Vaters Vermögen in Form einer Witwenrente für Mutter in den Besitz des Beginenklosters übergegangen und Mutter selbst mit Symon von Alevelde verheiratet. Nur der spätere Urteilsspruch des Vogtgerichts, vor dem sich Vater und mein Onkel drei Tage lang bekämpften, hatte dazu beigetragen, dass ihm wenigstens ein bisschen Gerechtigkeit widerfuhr, indem er seine Güter zurückerhielt.«
»Großer Gott, Runa«, stieß Johann erschrocken aus. »Ich kann es kaum glauben. Was für eine Geschichte. Ich hatte ja keine Ahnung.« Er war aufrichtig bewegt. »Wenn ich mich zurückerinnere, kamen mir die Gerichtsverhandlungen zwischen Albert und Conrad so unglaublich übersteigert vor … ich war mir sicher, dass sie sich beide bloß aufspielen wollten. Ich begreife tatsächlich erst jetzt, wie sehr sich diese beiden Brüder hassen müssen. Conrad habe ich noch nie sonderlich gemocht, aber deine Geschichte bringt mich dazu, ihn wahrlich zu verachten.« Fast sah Johann ihn vor sich sitzen; im Rathaus auf seinem angestammten Platz. Wie viele Streitigkeiten hatte er zwischen den ungleichen Brüdern während der letzten vierzehn Jahre im Rathaus schon miterlebt? Nie waren sie einer Meinung – vollkommen egal, worum es ging. Johann hatte stets gedacht, es handele sich dabei um das weibische Verhalten zweier Männer, die sich stets uneins waren, doch nun wusste er es besser. Es machte ihn fast betroffen, dass er diese Geschichte nicht früher verstanden hatte. Sein Einfluss hätte Runa damals möglicherweise vor einem Leben unter Conrad bewahren können – doch jetzt war es zu spät, und Runa war schon seit einigen Jahren den Fängen ihres Onkels entschlüpft.
So innig wie selten zuvor nahm er das Gesicht Runas in seine Hände und küsste sie auf die Lippen. Dann schauten die Verliebten sich noch ein letztes Mal tief in die Augen, bevor Johann aufstand. Beide wussten ohne Worte, dass er nun wieder gehen musste, und auch Runa sollte sich beeilen. Die wenige gemeinsame Zeit verflog doch immer allzu schnell. Noch einmal blickte Johann seine Runa an. Er wollte sich ihr Bild einprägen, so, wie sie jetzt gerade da auf dem Bett lag.
Ihr Körper war komplett unter der unförmigen blauen Kleidung der Beginen-Schwestern verborgen, doch ihre hübschen Rundungen zeichneten sich deutlich darunter ab. Nur die weiße Haube hatte sie abgelegt, sodass ihr auffallend schönes Haar
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