Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Johann zu greifen bekam. Tief atmete sie erst ein und dann wieder aus. Gleich darauf schmiegte sie sich in seinen Arm. Den Kopf dabei an seine Schulter gelehnt, hörte sie seine erklärenden Worte.
»Als ich heute von dem plötzlichen Tod der Domina Alheidis gehört habe, wusste ich, dass du kommen würdest. Es tut mir so leid, meine Liebste. Ich weiß, wie sehr du sie geliebt hast.« Johann hielt Runa noch eine Zeitlang im Arm. Er fühlte, dass sie das jetzt brauchte, und auch er selbst hatte das Verlangen danach.
An diesem Tage liebten sie sich nicht. Sie lagen lediglich dicht beieinander und redeten über alles; nur nicht über sich. Zu schmerzhaft war die Erkenntnis, die doch beiden schon allzu klar war. Dieser kleine Moment sollte davon nicht belastet sein – er gehörte ihnen ganz allein –, und sie wollten ihn zur Zerstreuung benutzen.
Wie so oft erzählte er ihr auch heute wieder von den Inhalten der Ratssitzungen, die derzeit zuhauf mit den Streitigkeiten zwischen der Stadt und den Schauenburger Grafen gespickt waren. Runa liebte diese Gespräche. Ihr Wissen über die Angelegenheiten Hamburgs, welches sie dank Johann angesammelt hatte, war mittlerweile so beträchtlich, dass sie seinen Erzählungen mühelos folgen konnte. Als Johann anfing, über die Streitigkeiten der Grafen von Holstein und Schauenburg untereinander zu erzählen, wusste sie sogleich, worum es ging.
Nachdem Graf Gerhard I. lange Jahre als einziger Landesherr fungiert hatte, war es vor elf Jahren zu einer Landesteilung mit seinen beiden mittlerweile mündigen Neffen gekommen. Seither geriet Hamburg immer wieder mit den drei regierenden Fürsten in Streit. Die Gründe dafür waren vielfältig, doch hauptsächlich beschwerten sich die Hamburger über die fehlende Unterstützung bei Überfällen von Hamburger Kaufleuten durch Wegelagerer und Placker und die schier endlose Verschwendungssucht des Grafenhauses. Johann ereiferte sich, während er erzählte. »Um den Grafen ihr Missverhalten endlich deutlich zu Papier zu bringen, haben die Ratsherren nun beschlossen, einen Kostenbericht mit deren Ausgaben aufzustellen. Ich bin gespannt, ob die Fürsten dann endlich verstehen, wie sehr sie die Stadt schröpfen und vor allem, wie groß ihre Abhängigkeit der Stadt gegenüber ist …« Plötzlich blickte er versonnen zu Runa. »Langweile ich dich, Liebste?«
Runa blickte zurück. »Nein, ganz und gar nicht.«
»Verzeih mir, du hast solchen Kummer wegen Alheidis, und ich rede unentwegt vom Rat. Erzähle du etwas«, forderte er Runa auf und zog sie gleichzeitig näher an sich. Johann liebte diese Gespräche nicht minder, boten sie doch eine angenehme Abwechslung zu den allzu strengen Unterredungen im Rathaus.
»Hm, was möchtest du hören?«
»Ganz gleich, ich will nur deine Stimme in meinem Ohr haben. Erzähle irgendwas.«
Runa begann mit etwas Unverfänglichem. Geschichten aus dem Kloster gab es schließlich genügend. »Gestern wurde Schwester Kristine abermals beim Stehlen von Brot und Käse erwischt. Die Magistra kam zufällig in die Küche, als die Diebin sich gerade eine dicke Scheibe in den Mund stopfte. Wir anderen haben nur das Gebrüll gehört und kamen herbeigelaufen; da hatte Kristine noch den ganzen Mund voller Krümel.«
»Oje«, lachte Johann heiter. »Ich wettte, das gab gehörigen Ärger.«
»Mehr noch. Kristine musste einen Tag in unserer Arrestzelle verbringen – ohne Essen und Trinken. Die Arme kann einem leidtun. Sie hat ständig Hunger. Ihr fällt es am schwersten von allen, bescheiden zu leben. Seitdem sie im Kloster ist, hat sie zwar schon einiges ihrer Leibesfülle verloren, doch gibt es immer noch keine dickere unter den Schwestern. Na ja, sie ist ja auch noch nicht lange eine Begine. Ich glaube, es fällt ihr sehr schwer, von ihrer Familie getrennt zu sein.«
»Das kann sein«, stimmte Johann ihr zu und verweilte einen Moment lang schweigend. Dann fragte er geradeheraus: »Und wie war das bei dir?«
Runa schaute ihren Geliebten nicht an, als er diese Frage stellte. Sie überlegte kurz, ob sie darauf eine unverfängliche Antwort geben oder ob sie schonungslos ehrlich sein sollte. Sie hatte Johann schon häufig von ihrer Familie erzählt. Alles, was mit ihr zusammenhing, schien ihn zu interessieren. Doch waren es bisher immer Gespräche gewesen, die sich auf die Gegenwart und vor allem mehr auf Albert und Alheidis bezogen hatten. Ihre Vergangenheit mit Conrad und Luburgis versuchte sie stets zu meiden. Doch
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