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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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war. Johann war ein angesehener Mann und sie bloß ein Niemand. Noch dazu war er ein Mann der Kirche. Sie schalt sich eine dumme Gans. Wie könnte er sich jemals über eine solche Nachricht freuen? Schließlich bedeutete sie den Untergang für sie beide. Nein, er durfte niemals etwas von dem Kind erfahren.
    Runa grübelte hin und her. Woche um Woche war bereits vergangen, ohne dass sie auf eine Lösung gekommen war. Wie sich ihre Situation jetzt darstellte, gab es für sie nur eine einzige Möglichkeit. Sie musste das Kind bekommen; und zwar heimlich! Ihre weite Beginentracht konnte ihr möglicherweise dabei helfen, den anschwellenden Bauch bis zum Tage der Niederkunft zu verbergen. Nur Gott wusste, warum es ihm gefiel, dass die meisten Kinder des Nachts das Licht der Welt erblickten. Sollte es bei ihr genauso sein, könnte es ihr vielleicht gelingen, die Geburt unbemerkt in ihrer Kammer zu vollziehen. Anschließend müsste sie den Säugling nur noch unbemerkt aus dem Kloster schaffen und auf die Türschwelle einer Kirche legen. Allein der Gedanke, ihr Kind tatsächlich auszusetzen, zerriss Runa schon jetzt fast das Herz, doch es schien ihr die einzige Möglichkeit für sie beide zu sein.
    Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatte, ging es Runa irgendwann ein wenig besser. So riskant ihr Plan auch war; sie hatte nun wenigstens einen. Dennoch lastete ihr Geheimnis an manchen Tagen schwer auf ihr. Zu gerne hätte sie sich jemandem anvertraut; doch wer hätte das schon sein können? Ihre Mutter hatte sie schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Seit dem Vorfall auf dem Markt, von dem ihr Vater ihr berichtet hatte, ließ Symon seine Frau nicht einmal mehr mit Grit heraus. Nur in seiner Gesellschaft, streng bewacht und stets dicht an seiner Seite, durfte sie einen Fuß vor das Haus setzen. Sie wäre wohl die Einzige gewesen, die Runa ins Vertrauen gezogen hätte, denn sie war überzeugt, dass ihre Mutter sie nach erstem Tadel verstanden hätte. Schließlich hatte auch sie selbst einmal eine große Liebe erfahren – eine mindestens ebenso große wie die zwischen Runa und Johann.
    Zu ihrem Vater zu gehen schien Runa absolut unmöglich. Sosehr sie ihn auch liebte, er war ein Mann. Niemals würde er das unzüchtige Verhalten seiner Tochter billigen. Nein, mit ihm darüber zu reden war absolut unmöglich. Wäre Alheidis noch am Leben, hätte Runa in ihr sicher auch eine Zuhörerin gehabt. Sie war fest davon überzeugt, dass ihr Geheimnis bei der Stiefmutter ebenso gut verwahrt gewesen wäre wie bei ihrer leiblichen Mutter. Doch Alheidis war tot, und Runas letzte Möglichkeit auf Hilfe war mit ihr gestorben.
    Runa fühlte sich allein. Die nächsten Monate drohten einsam für sie zu werden, das war ihr jetzt klar. Beide Frauen, denen sie sich anvertraut hätte, waren entweder eingesperrt oder tot, und die beiden Männer in ihrem Leben kamen als Vertraute nicht infrage. Auch die zusätzliche Angst davor, entdeckt zu werden, würde sie ständig begleiten und vielleicht irgendwann zermürben. Und dennoch, trotz der schwierigen Umstände wünschte Runa sich nicht den Tod des Kindes. Sie wunderte sich selbst darüber, denn eine Fehlgeburt hätte ihr einiges leichter gemacht. Doch sie verspürte selbst jetzt schon Mutterliebe, und diese Liebe zu dem Ungeborenen war stärker als alle Widrigkeiten. Wenn sie schon nicht bei ihrer großen Liebe Johann würde sein können, trug sie wenigstens seinen Spross unter ihrem Herzen. Es war grotesk, doch dieser Gedanke machte Runa auf gewisse Weise glücklich.
    Langsam brach die Nacht herein, und sie ging in ihre Kammer. Mit den Händen auf ihrem Bauch und der unbegründeten Zuversicht, es trotz aller Schwierigkeiten schaffen zu können, legte sie sich auf ihre Bettstatt und schlief ein.

4
    Es war der 5. August des Jahres 1284, als es irgendwo in der ehemaligen gräflichen Neustadt von Hamburg begann.
    Zunächst war es nur ein winziges Glimmen. Unschuldig und ungefährlich. Eine Feuerstelle, die zur Nacht nicht gänzlich gelöscht worden war; übersehen von einer Magd, die etwas schläfrig die Küche verlassen hatte. Unzählige Male schon war es so gekommen – nie war etwas passiert. In dieser Nacht jedoch hatte das Glück ein Ende.
    Neben der Feuerstelle lag unbemerkt ein alter Lumpen. Er lag dort bereits so lange, dass ihn niemand mehr wahrnahm. Verborgen unter Staub und Ruß, hatte er die Farbe seiner Umgebung angenommen und sich auf diese Weise perfekt getarnt. Ein Fünkchen der

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