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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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unschuldigen Glut aus der Feuerstelle reichte aus, um diesen trockenen alten Lumpen auf gefährliche Weise wieder zum Vorschein zu bringen. Leise kohlte sich zunächst ein Loch hinein, bis irgendwann kleine Rauchschwaden aufstiegen und der graue Lumpen vollends Feuer fing. Schon bald schlugen die Flammen hoch. Nur für wenige Augenblicke gelang es ihnen, die Sitzbank darüber überhaupt zu berühren. Lautlos leckten sie an ihr, bis die Bank an einer Stelle schwarz wurde. Das trockene Holz fing an zu knacken; fast so, als wollte es die Bewohner des Hauses wecken. Doch es erwachte niemand. Der Lumpen war längst verbrannt, doch die Holzbank gab dem Feuer neues Futter. Unerbittlich fraß es sich weiter. Gierig nahm es alles, was seinen Weg kreuzte. Schnell stand der Tisch in Flammen und noch viel schneller das ganze Haus. Kein Schrei war zu vernehmen und kein Fluchtversuch zu erkennen, als die Flammen aus den Fenstern des Hauses stoben. Seine Bewohner erstickten im Schlaf; und so war es auch im Haus daneben und dem daneben.
    Es brannten bereits die Deichstraße, die Steintwiete und der Rödingsmarkt, als das Feuer endlich bemerkt wurde. Zum Löschen war es nun zu spät. Menschen rannten um ihr Leben, während sich die Flammen unersättlich durch die Gassen fraßen. Nichts wurde verschont.
    Zusammen mit dem tosenden Feuer schien sich ein ganz bestimmter Laut voranzuwälzen. Das Gemisch aus dem Knacken des brennenden Holzes, dem Schreien der Sterbenden und dem Donnern der zusammenstürzenden Häuser war wie ein einziger Ton.
    Ein jeder, der davon erwacht war, versuchte sich in Sicherheit zu bringen. Überall in den Straßen wurden die Luken und Türen der bereits brennenden Häuser aufgerissen, um Ausgänge zu schaffen. Doch die Flammen waren überall, und nur wenige Bewohner entkamen dem höllischen Tod. Einige waren vom Feuer so weit eingeschlossen, dass sie in ihrer Verzweiflung aus den Luken der oberen Stockwerke sprangen, worauf ihre Körper mit verrenkten Gliedern hilflos liegen blieben, bis sie von den Fliehenden totgetrampelt oder unter herabfallendem Gehölz begraben wurden. Andere schafften es gerade noch, aus den Türen ihrer Häuser zu laufen, obwohl sie bereits am ganzen Leib brannten. Schreiend und mit letzter Kraft taten sie alles, um zum Wasser zu gelangen, wo sie dann, ohne zu zögern, hineinsprangen. Zischend erstarben die Flammen auf den Körpern, doch gleich darauf ertranken die Gelöschten still und leise in den nachtschwarzen Fluten. Der Tod war ihnen allen sicher.
    Fast schlimmer als die Flammen selbst waren der Rauch und die Gluthitze, die sich innerhalb der Häuser und in den engen Gassen bildete. Jedem, der diese Luft atmete, wurde das Innerste erbarmungslos gekocht, und allen, die nicht schnell genug einen Fluchtweg fanden, verkohlte das Fleisch auf den Knochen.
    Die Aussicht darauf, den Flammen unversehrt zu entkommen, war selbst für die Gesunden gering, doch den Alten und Lahmen war der Tod gewiss. Das Heilige-Geist-Hospital war nach kürzester Zeit von der roten Glut umschlossen. Als das Licht des Feuers den Schlafsaal erhellte und die Kranken aus ihren Träumen erweckte, war jedem von ihnen sein Schicksal unmissverständlich klar. Doch anders als die Bewohner der Stadthäuser klagten und weinten sie nicht. Tapfer lagen sie in ihren Betten und fassten einander in der Gewissheit des unvermeidlichen Todes, der sie ohnehin bald ereilt hätte, an den Händen. Eine Frau mit langem grauem Haar, der noch eine kräftige Stimme geblieben war, begann laut, das Ave-Maria für alle Anwesenden zu sprechen. Dann dauerte es nicht mehr lange, bis das Feuer sich von draußen nach drinnen gearbeitet hatte. Durch jede Ritze kam es gekrochen, bis es schließlich die ersten Betten erfasste. Rauch entwickelte sich und nahm allen die Sicht und den Atem. Dann fielen die ersten von ihnen in eine gnädige Ohnmacht. Andere hatten weniger Glück und mussten die eigenen Glieder brennen sehen. Wegen ihrer Gebrechen wehrlos, blieb ihnen nichts, als das peinigende Schicksal zu ertragen. Sie starben einen qualvollen Tod, doch vernahmen sie dabei die laute Stimme der betenden Frau, bis auch sie von den Flammen erfasst wurde.
    Das Feuer hatte sich des Kirchspiels St. Nikolai vollständig bedient und verlangte nun nach neuer Nahrung. Es erfasste die hölzerne Hohe Brücke und griff so auf die Cremon-Insel über.
    Schnell, aber nicht schnell genug, hatten die Bewohner des Katharinen-Kirchspiels, die der Grimm-Insel und die der

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