Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
nur eines zur Folge haben: noch mehr Scherereien mit Conrad. Sicher würde er Albert fragen, warum er des Tages mit seiner Frau herumspazierte, anstatt die ihm aufgetragenen Aufgaben zu erledigen. An Alberts Blick war deutlich abzulesen, wie wenig Lust er zu derlei Unterredung mit seinem Bruder hatte.
Ragnhild fühlte sich schlecht. Sie war sich sicher, dass ihr Mann die Schelte einfach über sich ergehen lassen würde, um das unverschämte Verhalten seiner Frau nicht zu verraten. Warum habe ich dumme Gans nicht einfach bis zum Abend gewartet, schalt sie sich, während sie schweigend nebeneinander hergingen. Fast meinte Ragnhild, die Anspannung Alberts durch die bloße Berührung seines Arms spüren zu können, auf den sie sich dankbar stützte, doch für eine Entschuldigung war es nun zu spät.
Erst jetzt merkte die Schwangere, wie erschöpft sie tatsächlich von dem morgendlichen Gang auf den Markt und dem Weg in die Schmiedestraße war. Es war ihr mit einem Mal unbegreiflich, wie sie jemals hatte glauben können, diesen Weg in ihrem Zustand allein hin- und auch wieder zurückgehen zu können. Eine blitzartige Müdigkeit erfasste Ragnhilds Körper; ihre Beine schienen mit einem Mal aus Blei zu sein, und ihre Hand klammerte sich immer fester um den Arm ihres Gemahls.
»Ist mit dir alles in Ordnung?«, fragte Albert besorgt, der bemerkt hatte, dass sie immer schwerfälliger ging. Er schaute seiner Frau ins Gesicht. Ihre Lippen waren blutleer. Ohne auf eines seiner Worte zu reagieren, starrte sie ins Leere. »Ragnhild, was ist mit dir?« Geschwind packte Albert seine Frau an den Schultern. Alle finsteren Gedanken an Conrad waren auf einmal wie weggeblasen. »Sprich mit mir. Sag etwas …«, redete er eindringlich auf sie ein.
Albert bekam keine Antwort von Ragnhild. Wie aus dem Nichts ging ein Ruck durch den Körper der Schwangeren. Sie umklammerte ihren Bauch und starrte auf den Boden, wo eine helle Flüssigkeit sich mit dem Unrat der Straße mischte. Ein spitzer Schrei entfuhr ihrem schreckgeweiteten Mund. Sie sank auf die Knie und fiel sogleich auf alle viere.
Albert, der sie noch immer festgehalten hatte, wurde von ihr mit auf den matschigen Boden gerissen. Er rappelte sich schnell wieder auf und versuchte seine laut stöhnende Frau unbeholfen aufzuheben, doch jede Berührung schien ihr Schmerzen zu bereiten und ließ sie nur noch lauter aufschreien.
Albert war der Verzweiflung nahe. Noch nie hatte er solche Laute von einem Menschen vernommen; schon gar nicht von seiner sonst eher stillen Frau. Er schaute sich um. Ein paar Schritte entfernt hatten sich ein paar Kinder und Alte versammelt. Neugierig starrten sie auf die Szenerie, die sich ihnen hier bot – von ihnen hatte er keine Hilfe zu erwarten. Albert wusste, dass er Ragnhild schnell von hier wegbringen musste, wenn er nicht wollte, dass sein Kind das Licht der Welt in aller Öffentlichkeit erblickte. Mit einer beherzten Geste kniete er sich neben seine schwer atmende Frau, die noch immer diesen geisterhaften Gesichtsausdruck hatte. Er legte sich einen ihrer Arme um die Schultern und hievte sie mit einem schmatzenden Geräusch ruckartig aus dem tiefen Schlamm.
Ragnhild verzog schmerzverzerrt das Gesicht und stieß einen leisen Schrei aus, doch Albert ignorierte ihr Gewimmer. Nach kurzer Zeit stand ihm der Schweiß auf der Stirn, und seine Arme begannen zu zittern. Er musste es bis in die Reichenstraße schaffen, er musste Ragnhild nach Hause bringen. Seine Gedanken waren erfüllt von diesem Vorhaben. Obwohl er lediglich starr geradeaus blickte, sah er trotzdem, dass sie weinte. Es zerriss ihm fast das Herz. »Ragnhild, gleich sind wir da. Halte durch!« Fast hätte er selbst nicht mehr daran geglaubt, es zu schaffen, doch dann stand er tatsächlich vor der geöffneten Flügeltür des Torbogens. »Luburgis! Hilda!«, schrie er mit letzter Kraft und trat in die Diele. »Hiiiildaaa!«
Sein Schrei wurde von der laut gegen die Wand knallenden Küchentür unterbrochen. Hilda stürmte heraus. Ihr Blick verriet, dass sie sofort wusste, worum es ging.
»Sie ist auf der Straße zusammengebrochen«, berichtete Albert atemlos, der seine Frau nun auf dem Boden der Diele abgelegt hatte.
Die Magd nahm das Gesicht der Schwangeren in beide Hände. Ragnhild hatte schreckgeweitete Augen, und ihre Wangen waren tränennass.
»Hilf mir, Hilda. Es geht los … jetzt. Es tut so weh!« Erneut fing sie an, vor Schmerz zu schreien.
»Schafft sie hinauf, Herr«, bestimmte
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