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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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ahnungslosen Luburgis und kroch erneut aufs Bett.
    »Na, dann wollen wir mal …«

4
    Albert war in die Küche geflüchtet. Voller Unruhe ging er auf und ab. Runa, die in Hildas Kammer neben der Küche schlief, bekam von der ganzen Aufregung nichts mit. Da er sie nicht wecken wollte, zwang er sich zur Ruhe, setzte sich an den Holztisch nahe der Feuerstelle und starrte auf die Maserung des Tisches.
    Er hätte nicht sagen können, wie lange er bereits so dasaß. Unfähig, sich zu bewegen oder gar zu beten, hörte er nur auf die markerschütternden Schreie seiner Ragnhild. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals in seinem Leben so hilflos gefühlt zu haben wie in den vergangenen Stunden. Sein Mund war trocken, und er dachte bereits zum wiederholten Male den gleichen Satz: Steh auf und hole dir einen Becher Würzwein. Doch seine Glieder schienen ihm nicht zu gehorchen.
    Als ein besonders durchdringender Schrei durch das Haus hallte, sprang er auf und riss den Tisch ein kleines Stück mit sich. Nur mühsam konnte er dem Drang widerstehen, die Treppe hinaufzustürmen. Er wusste, dass Geburten ausschließlich Weibersache waren, und dennoch wäre er jetzt zu gerne bei seiner Frau gewesen.
    Wie ein waidwundes Tier eilte er unruhig durch die Küche. Die Schreie kamen nun in kürzeren Abständen, und sie wurden heftiger. Als er dachte, es keinen Moment länger mehr ertragen zu können, hörte er endlich das erlösende Weinen des Neugeborenen. Er riss die Küchentür auf und stürmte hinaus.
    Immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend, stand er blitzschnell vor der Tür ihrer gemeinsamen Kammer und wartete. Normalerweise wurde die Mutter nach der Geburt noch hergerichtet und frisiert, bevor der Ehemann gerufen wurde. Albert hätte nur zu gern auf diesen Teil verzichtet und sogleich Mutter und Kind in die Arme geschlossen. Voller Spannung horchte er. Nur das Kind wimmerte leise vor sich hin. Warum dauert das nur so lange, fragte er sich und musste fast ein bisschen schmunzeln über seine Unbeherrschtheit. Die abfallende Anspannung und das unsagbare Glück über die Geburt seines Kindes mischten sich mit seiner kaum zu ertragenden Ungeduld.
    Plötzlich hörte er Hilda sagen: »Na dann wollen wir mal.«
    Ragnhild schrie erneut.
    Was hat das zu bedeuten?, fragte sich Albert verwirrt.
    »Pressen und dann atmen … tief ein- und ausatmen, Liebes«, hörte er Hilda sagen. Immer wieder wiederholte die Magd diese Sätze. Schier endlos kam ihm die Zeit vor der Tür vor. Er wusste nicht, was die Geräusche im Inneren der Kammer zu bedeuten hatten, und das beunruhigte ihn zusätzlich, doch so langsam beschlich ihn eine Ahnung.
    Ragnhilds Schreie wurden schwächer. Man hörte ihr mittlerweile an, wie erschöpft sie war.
    Albert war bald außer sich vor Sorge. Wie lange würde sie das noch durchhalten? Es war wie ein Fluch, dass er ausgerechnet jetzt daran denken musste, wie viele Frauen allein in der näheren Nachbarschaft schon im Kindbett gestorben waren. Nein, das durfte nicht passieren. Sei stark, Ragnhild! Er schüttelte den Kopf, um die aufkeimende Verzweiflung zu vertreiben, und begann vor der Tür auf- und abzugehen.
    »Wusste ich es doch«, stieß Hilda irgendwann aus und ließ Albert wegen dieser Worte sofort zur Tür stürmen.
    »Da wartet wohl noch ein Zwilling«, war der folgende Ausspruch, der Albert fast an seinem Gehör zweifeln ließ. Zwillinge! Sie bekam also tatsächlich Zwillinge!
    Im Gegensatz zu Ragnhild schien Hilda daraus neue Kraft zu schöpfen. Mit energischer Stimme forderte sie ihre Freundin unentwegt auf, tapfer zu bleiben. »Nicht nachlassen, Kleines. Du darfst jetzt nicht schwach werden. Atmen … und pressen … so ist es gut.«
    Die unerträgliche Anspannung ließ Albert die Hände zu Fäusten ballen. Seine Knöchel traten bereits weiß hervor, und seine Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch, als ein letzter langer Schrei ihn erneut gefrieren ließ. Er schloss die Augen. Erst als er das Weinen seines zweiten Kindes vernahm, wagte er sie wieder zu öffnen. Es war geschafft. Zwillinge. Jetzt konnte er sie hören.
    Einem Bedürfnis nach Halt folgend, stemmte er beide Handflächen gegen die Wand und ließ seinen Kopf dazwischen auf die Brust sinken. »Zwillinge«, sprach er noch ein paar Mal laut hintereinander aus – fast so, als müsste er sich selbst noch davon überzeugen, dass es tatsächlich wahr war.
    Nach einer Weile öffnete sich endlich die Tür. Albert schaute in die Kammer. Der kleine Raum wurde

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