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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Seite. Ein Teil der Decke hatte sich gelöst und war neben ihr zu Boden gegangen. Starr vor Schreck blickte sie auf den Haufen brennenden Holzes. Dann plötzlich entdeckte sie eine Hand unter den Balken; kurz darauf auch ein Gesicht. Es war Walther!
    Seinen Mund zu einem tonlosen Schrei geöffnet, versuchte er vergeblich, sich zu befreien.
    Sofort stürzte Runa zu ihm; und ohne dass sie hätte sagen können, woher er gekommen war, sprang plötzlich auch ihr Vater herbei. Gemeinsam schafften sie es, den Verletzten aus den Trümmern zu ziehen. Sie nahmen ihn in ihre Mitte und schleppten sich zusammen durch die offene Tür nach draußen. Alle drei husteten stark. Ihre Augen brannten von dem beißenden Rauch, und ihre Körper schienen erfüllt von der glutheißen Luft. Doch an eine Pause war nicht zu denken. Sie mussten hier weg – und zwar rasch.
    Auf den Straßen reihten sie sich in den Strom der Flüchtenden. In diese Richtung ließ es sich weit besser laufen als in die andere. Doch nebeneinander brauchten sie zu viel Platz, weshalb Walther ihnen klarmachte, dass er versuchen wollte, allein zu laufen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er sich dabei die Seite. Anscheinend hatte er neben der Verletzung am Kopf nun auch ein paar gebrochene Rippen.
    Die drei kämpften sich durch die kopflos Fliehenden, wichen brennenden Hindernissen aus und stiegen über gefallene Leiber hinweg, bis sie endlich die Niedernstraße erreichten. Hierher war das Feuer noch nicht gekommen – aber es würde jeden Moment so weit sein.
    Albert hielt seine Tochter und Walther an. Gegen den ohrenbetäubenden Lärm anschreiend, sagte er: »Walther, bring Runa in Sicherheit und kommt nicht zurück in die Stadt, bevor der Brand vorüber ist! Hast du verstanden?«
    Noch bevor der Angesprochene antworten konnte, fiel Runa ihm ins Wort. »Vater, was hast du vor? Warum kommst du nicht mit uns?«
    »Ich muss versuchen Ragnhild zu finden. Du gehst mit Walther.«
    Als Runa protestieren wollte, schnitt Albert seiner Tochter das Wort ab. »Ich erlaube keine Widerrede, Kind. Geht jetzt!«
    Walther kannte Albert. Er wusste, dass er ihm seine Begleitung gar nicht erst anzubieten brauchte. So nahm er Runa am Arm und rief ihr zu: »Lass uns gehen. Wir haben keine Zeit mehr. Gleich wird die ganze Stadt brennen. Du hast deinen Vater gehört.«
    Runa kannte Walther indes sehr gut und wusste, dass auch hier jeder Widerstand zwecklos war. Sie warf noch einen letzten Blick auf ihren Vater, der bereits auf das Haus ihrer Mutter zusteuerte, und folgte daraufhin Walther, der ihren Arm fest umklammert hielt.
    Alles ging so furchtbar schnell. Runa hatte bisher noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt zu fragen, wo Margareta sich befand, und sie hatte auch nicht mehr die Kraft dazu.
    Walther hingegen schien sein neuer Auftrag ungeahnte Stärke zu verleihen. Sein Schmerz war plötzlich nicht mehr wichtig, denn er musste Runa in Sicherheit bringen. Entschlossen zog er sie dicht an sich und legte ihr schützend den Arm um die Schultern. Mit dem anderen Arm schaufelte er ihnen eine Gasse durch die Menschen. Seine Kraft beeindruckte Runa mehr, als sie für möglich gehalten hatte, und sie nahm seine Nähe gerne an.
    Walther versuchte sich vor Runa nicht anmerken zu lassen, dass er tatsächlich seine Schmerzen vergessen hatte, seit er sie im Arm hielt. Nichts hätte ihn davon abhalten können, Runa unversehrt aus der Stadt zu bringen. Vollkommen beseelt von diesem Gedanken, schob er sich mit ihr durch die Menge. Jeden Schlag gegen seine gebrochenen Rippen und auch das immerwährende Pochen seiner Kopfverletzung nahm er gerne in Kauf, wenn sie nur dicht bei ihm blieb.
    Als sie es fast geschafft hatten, brach Runa plötzlich mitten auf dem Weg zusammen. Völlig unerwartet hatten ihre Beine nachgegeben. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Leib wie ein Schwerthieb. Dem unvermeidlichen Instinkt folgend, ihr Kind zu schützen, legte sie beide Hände um ihren Bauch und stieß einen spitzen Schrei aus.
    Walther dachte im ersten Moment, dass Runa gestolpert wäre, und wollte sie sogleich wieder aufheben. Doch als er sich über sie beugte, ließ ihn eine Entdeckung innehalten. Mit Erstaunen sah er, dass sie sich den Bauch auf diese komische Weise hielt, die er schon häufig bei anderen Frauen beobachten konnte. Walther erstarrte. Dieses Bild wollte so gar nicht zu Runa passen. Sie war eine Begine. Das konnte nicht sein! Noch immer lag sie vor ihm, während er krampfhaft versuchte,

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